Sozialwissenschaftliche Vernunft

»Corona« als politische Religion

In der Corona-Krise spitzen sich politische und kulturelle Entwicklungen zu, die man schon länger beobachten konnte: ein Gefühl der Ausweglosigkeit im globalisierten Kapitalismus, Erwartungen der ökologischen Apokalypse, die Deutung der Zivilisation in moralischen Schulddiskursen, die Entstehung einer politischen Theologie der Katastrophenerwartung auf der Grundlage eines negativen Zivilisationsmythos, in dem ein verworfenes Zeitalter der (männlichen) »Geschichte« durch ein heilsbringendes der (weiblichen) »Natur« abgelöst wird, mündet schließlich in eine sicherheitsfixierte Fürsorgegesellschaft unter der Obhut von »Mutti« – derzeit einer schwarzen, demnächst voraussichtlich einer grünen.

Das Corona-Krisenmanagement nicht nur der deutschen Regierung, weit entfernt davon, durch belastbare empirische Evidenzen gerechtfertigt zu sein und weit jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit operierend, erweist sich als eine Revolution von oben, die die Gunst der Stunde ergriffen hat, um all diese Tendenzen in das Programm einer autoritären Umgestaltung von Kultur und Gesellschaft zu bündeln.

Die Bürger sind von dieser Entwicklung einerseits mittels einer Schockstrategie überrumpelt worden, werden aber andererseits auch mit Zumutungen konfrontiert, die auf schon seit längerer Zeit eingeschliffenen politisch-religiösen Denkweisen beruhen und deren politischer Skandal darum nur noch von einer Minderheit der Bevölkerung überhaupt als solcher empfunden wird.

Seitens der politischen Eliten handelt es sich bei dieser Revolution von oben um den Versuch, einen autoritären Ausweg aus der Krise des globalen Kapitalismus zu finden. Der systemkonforme Gleichklang von Politik, Medien und Intellektuellen läutet ein neues Zeitalter des politischen Irrationalismus ein.

Die Umkehrung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik

Insbesondere diese letzte These mag unplausibel erscheinen, da sich die Regierung ja gerade auf »die Wissenschaft« beruft, die Kanzlerin wird selbst als »Wissenschaftskanzlerin« apostrophiert, und die politischen Entscheidungen sind als wissenschaftlich alternativlos dargestellt worden. Tatsächlich aber wurde das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in der Corona-Krise auf den Kopf gestellt: mit entschiedener Hilfestellung durch die Mainstream-Medien wurde wissenschaftliches Wissen zur Sachlage politisch teils selektiert (die Aufmerksamkeit für die Ferguson-Panikstudie vom März und Juni 2020), teils produziert, insofern das Bundesministerium des Inneren im Frühjahr 2020 ein »Panik-Papier« nach politischen Vorgaben und gemäß Framing-Kriterien hat erstellen lassen. Selektiv war das Verhältnis von Politik und Wissenschaft auch bei der Stellungnahme der Leopoldina vom Dezember 2020. Christoph Lütge und Michael Esfeld fassen den Sachverhalt bündig zusammen:

»Es mussten gezielt Wissenschaftler dafür gewonnen werden, die den Weg der Politik stützten, und es mussten auch nur genau diese Wissenschaftler zurate gezogen werden. Man stützte sich also ausschließlich auf diejenigen, die sagten, was die Regierenden hören wollten – und die zudem bereit waren, andersdenkende Kollegen zu diffamieren.«

Lütge/Esfeld 2019, S. 23

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel sagt mit Bezug auf die Klimadebatte ähnliches:

»›Science has told us‹, sagen die Klimaaktivsten. Als gäbe es nur eine wissenschaftliche Wahrheit. Der Wissenschaft wächst hier eine Rolle zu, die undemokratisch wird.«

Indem man das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in dieser Weise auf den Kopf stellt, werden nicht nur die Früchte wissenschaftlicher Arbeit selektiv gepflückt, sondern auch der »Geist«, die zentralen Werte der Wissenschaft stehen in Frage. Wenn Lothar Wieler darauf besteht, die einmal für verbindlich erklärten Corona-Verhaltensregeln dürften »nie hinterfragt werden«, dann zerstört er damit die zentrale produktive Funktion des Zweifels für erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit.

»Diese Regeln werden wir noch monatelang einhalten müssen. Die müssen also der Standard sein. Die dürfen nie hinterfragt werden. Das sollten wir einfach so tun.«

Lothar Wieler

Wissenschaft tritt damit in genau jene Rolle ein, von dessen Zwangsgewalt sie sich historisch selbst in langen Kämpfen mühsam emanzipiert hatte: in die Rolle der Theologie. Solche Überzeugungen lassen sich auch in den Mainstream-Medien finden, beispielsweise in einem Artikel von Ruth Fulterer in der NZZ, in dem sie Daniele Ganser kritisiert:

»Lange bevor Corona-Leugner durch die Strassen zogen, säte Daniele Ganser Zweifel an den ›Mainstream-Medien‹ und fand damit nicht nur unter klassischen Verschwörungstheoretikern Anklang.«

Ruth Fulterer, »Gansers Jünger«, NZZ vom 30.0.12021

Hier begegnen wir einem Mainstream-Journalismus, der Zweifel allen Ernstes zur Ketzerei erklärt. Dass die Mainstream-Medien den alternativen und sozialen Medien dieses »Säen von Zweifeln« ihnen gegenüber nie verziehen haben, ist nichts Neues. Aber welchen Wahrheitsanspruch vertritt, wer Zweifel fürchten muss? Nur der Gläubige fürchtet den Zweifel, für den modernen Rationalisten beginnt seit Descartes alle Wissenschaft damit. Darum ist die Verdammung des Zweifels keine Bagatelle, sondern eine Wegscheide, denn Grenzen werden unmerklich mit einem einzigen kleinen Schritt überschritten, nur ausnahmsweise geben, wie bei Apollo 11, die Bildschirme der ganzen Welt einen solchen Augenblick wieder.

Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie eine Entscheidung darüber implizieren, auf welchem Weg es anschließend weitergeht. Und auf dem Wege des Corona-Krisen(miss)managements sind wir mittlerweile in eine politische und kulturelle Welt geraten, die wir uns Anfang 2020 noch nicht vorstellen konnten. Um welche Dimension der kulturellen Umwertung es von Anfang an ging, kann man an einem zentralen Begriff ablesen, mit dem Kritiker der beschlossenen Maßnahmen schon im Frühjahr 2020 belegt wurden: am Begriff des »Corona-Leugners«.

Das Evangelium des Corona-Schreckens

Der Begriff ist von einer Doppeldeutigkeit, die zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Faktenbezug und Glaubensbezug changiert. Oberflächlich ist er an den Begriff des Holocaust-Leugners angelehnt und dadurch auf das In-Abrede-Stellen von (geschichts)wissenschaftlich wohlbegründeten Tatsachenfeststellungen bezogen. Zudem bezieht er vom Begriff des Holocaust-Leugners auch seine stigmatisierende und denunzierende Kraft. »Corona-Leugner« würden, so wird ausgesprochen oder angedeutet, »die Corona-Gefahr leugnen«. Aber wie ist diese »Corona-Gefahr« eigentlich definiert?

Es steht außer Frage, dass es für Personen, die medizinisch klar definierten Risikogruppen angehören, ein erhöhtes Risiko besteht, an einer SARS-Cov2- Infektion schwer zu erkranken und möglicherweise daran zu sterben. Dieses individuelle Risiko wird jedoch in einem unscharfen Begriff wie »Corona-Gefahr« nicht hinreichend klar vom kollektiven Risiko unterschieden: dem Risiko, dass die Bevölkerung eines Landes als Ganze mit einem dramatischen Anstieg der Sterblichkeit zu rechnen habe (wie das die Ferguson-Modellrechnung vorausgesagt hatte).

Die wohlbegründete Kritik, dass in Bezug auf SARS-Cov2 eine politische Panikreaktion inszeniert worden ist, bezieht sich auf dieses kollektive Risiko. Wer diese wohlbegründete Kritik stigmatisieren möchte, wird daher von der Unschärfe des Begriffs »Corona-Leugner« profitieren.

Der Vorwurf der Panikmache verweist auf die emotionale Komponente im Umgang mit dem Coronavirus, und die emotionale Komponente ist von der religiösen nicht weit entfernt – denn der Begriff des Leugnens hat auch religiöse Bezüge: im religiösen Kontext wird man zum »Leugner« nicht dadurch, dass man einen Sachverhalt nicht anerkennt, sondern indem man von ihm emotional unbeeindruckt bleibt. »Leugnen« und »Verleugnen« ist die Haltung desjenigen, der vor der emotionalen Erschütterung einer Offenbarungswahrheit »sein Herz verstockt«, beziehungsweise desjenigen, der die emotionale Erschütterung nicht als eine Tatsache der objektiven Realität missversteht, sondern sie als einen inneren, psychischen Zustand des Überwältigtseins erkennt.

Der Begriff des »Corona-Leugners« bezieht sich hier daher nicht auf Menschen, die bestimmte Sachverhalte in Frage stellen, sondern auf Menschen, die sich weigern, sich vom offiziell erwünschten Panikmodus emotional beeindrucken zu lassen. Und wenn der »Leugner« eine Offenbarungswahrheit leugnet, dann ist der Komplementärbegriff zum »Corona-Leugner« die »Corona-Offenbarung« bzw. »Corona-Apokalypse«, wobei zwar »Apokalypse« streng genommen nur »Entschleierung« im Sinne von »Offenbarung« bedeutet, aber dennoch auch das heutige Alltagsverständnis eines »schlimmen Unheils« mit umfasst.

»Corona-Leugner« ist somit jeder, der sich dem Panikmodus verweigert – und mit dem Insistieren auf dem Vorrang der emotional unbeeindruckten Vernunft mithin das Gegenteil von dem, was ihm vorgeworfen wird zu sein: er ist gerade kein irrationaler »Verschwörungsgläubiger«. Das, was der »Corona-Leugner« tatsächlich »leugnet«, das heißt: wem er sich verweigert, ist eine als Evangelium des Corona-Schreckens verfasste staatliche und massenmediale Symbolik und Kommunikationsstrategie.

Wie wird dieser Schrecken erzeugt? Es wird gesagt, der Vergleich zwischen Influenza und Covid-19 sei nicht statthaft, weil das Corona-Virus wesentlich gefährlicher sei als das Influenza-Virus. Praktisch identisch war jedoch der Umstand, dass zuletzt schon die schwere Grippewelle von 2018 die Krankenhäuser und Intensivstationen an ihre Kapazitätsgrenzen gebracht hatte, und dass generell die Überlastungssituation in den Krankenhäusern schon seit langem völlig unabhängig von Corona besteht. Die Schlüsselaussage des Pflegers Ricardo Lange auf der Bundespressekonferenz lautet: »Die Pflege arbeitet seit vielen Jahren schon am Limit, aber leider hat es bislang in diesem Umfang niemand interessiert.«

Das Problem der Intensivpflege ist also nicht eine durch Covid-19 neu hinzugekommene, überbordende Hochbelastung, sondern eine seit Jahren bestehende, generelle Situation der Überforderung, zu der das Corona-Virus nicht ansatzweise so viel beiträgt, wie das medial mit händeringenden Warnungen vor Triage insinuiert wird. Ein erheblicher Anteil des »Corona-Schreckens«, nämlich die Angst, im Falle einer schweren Erkrankung nicht mehr angemessen versorgt werden zu können, ist also offensichtlich schon seit vielen Jahren in der Beschaffenheit unserer Krankenversorgung fest eingebaut. Diese Situation hat aber bisher nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die ihr gebührt.

Man könnte in diesem Zusammenhang nämlich auch ein anderes Fass aufmachen: dass wir als eine moderne Gesellschaft zugleich eine alters- und todesverdrängende Kultur sind, weil wir, jedenfalls einer soziologischen Erklärung zufolge, das individuelle Sterben nicht mehr in religiöser Schicksalsergebenheit auffangen können, weshalb es uns, ob bei uns selbst oder bei uns nahestehenden Menschen, als ultimative Katastrophe erscheint, die wir als subjektiv unerträglich aus dem Alltagsbewusstsein verdrängen müssen:

»Eine Sinngebung des Todes … kann in der modernen Gesellschaft nur noch durch das je konkrete Individuum geleistet werden. Eine soziale Sinnstützung von außen, etwa durch Religion, bildet heute eher die Ausnahme. Individualisierung der Todeserfahrung und Entinstitutionalisierung der Sinngebung des Todes müssen notwendigerweise eine ungeheure Überlastung und Überforderung an das einzelne Individuum stellen (…) »Demgegenüber erschien in einfachen Sozialformen die Gesellschaft aufgrund der Sterblichkeit von Individuen instabil und permanent gefährdet. Kompensiert wurde dieser Sachverhalt durch kollektive Sinngebungen des Todes. Sie ermöglichten auch dem einzelnen eine stabile sinnhafte Selbstverortung über denn Tod hinaus. (…) Die permanente Bestandsgefahr des sozialen Systems in einfacheren Gesellschaften – zumeist das Subsistenzproblem – wurde zwar durch Sterblichkeit und Tod von Menschen erhöht, jedoch waren diese Menschen leichter in ihrer Funktion für die Subsistenz ersetzbar. Der Verlust konkreter Personen wog weniger schwer, auch wegen der geringen Exklusivität von persönlichen Beziehungen.««.

Nassehi/Weber 1988, S. 382 ff.

Hinzu kommt, dass die Orte des Sterbens heute ganz überwiegend in Kliniken, Palliativstationen und Hospizen institutionalisiert und dadurch sowohl räumlich aus dem Alltag ausgegliedert als auch in Prozesse professioneller Betreuung eingegliedert sind. In der Corona-Krise ist diese institutionelle Eindämmung und Ausgliederung der Todesbedrohung durch die politische und mediale Kommunikation aufgebrochen und sind die aus dem Dunkel entweichenden Schatten und Schreckensbilder politisch instrumentalisiert worden.

Zwischen der Influenza, die wir unter derselben Belastungssituation des Gesundheitswesens in der Finsternis haben geschehen lassen, und Corona, das von grellen medialen Scheinwerferlicht beleuchtet wird, hat sich eine Potentialdifferenz des Schreckens aufgetan, die medial und politisch vollständig auf »Corona« gebucht wird, obwohl sie primär eine Frage der unterschiedlichen Lichtverhältnisse ist – Offenbarung, Entschleierung, ἀποκάλυψις, ist hier gleichbedeutend mit dem Druck auf den Lichtschalter.

Und wer darauf hinweist, dass ein großer, wenn nicht der größte Teil dieses Schreckens schon lange vor »Corona« unsichtbar im System verbaut gewesen ist, zieht dann die Beschuldigung auf sich, ein »Leugner« zu sein, obwohl man jeden, der diese These von der Unvergleichlichkeit von Covid-19 präsentiert, auch als »Influenza-Leugner« diffamieren könnte.

Die in Reaktion auf die weltweite Ausbreitung des Virus beschlossenen Maßnahmen forderten nicht primär eigenverantwortliches, sondern primär autoritätsgläubiges Verhalten. Es wurde dem Bürger nicht zugetraut und zugemutet, über Maßnahmen zum eigenen Schutz und zum Schutz der Mitmenschen aufgrund eigener, durch Bereitstellung sachlicher Informationen gestützter Situationseinschätzungen zu treffen und strikte Regularien auf den Schutz hoch vulnerabler Gruppen (insbesondere in Alten- und Pflegeheimen) zu beschränken, sondern es wurde durch emotionalen Druck unterfütterter, blinder Regelgehorsam gefordert, bei dem der Sinn und die Effektivität der in Kraft gesetzten Verhaltensregeln nicht in Frage zu stellen war.

Es wurde eine Strategie implementiert, die nicht auf die Entwicklung einer sachgerechten Handlungs- und Urteilsfähigkeit der Bürger zielte, sondern ausschließlich auf eine möglichst ungestörte und »unbeurteilte« Handlungsfreiheit der Exekutive. Nicht eine rational und sachlich argumentierende Verständigung zwischen Bürger und Staat über die Beschaffenheit der Realität wurde angestrebt, sondern es wurde unter Berufung auf »die Wissenschaft« eine Realität(sbeschreibung) autoritär verfügt, die aufgrund ihrer religionsanalogen Offenbarungsqualitäten fortan als sakrosankt galt und deren wissenschaftliche und intellektuelle Kritiker als Ketzer ausgerufen wurden und immer noch werden.

Strukturwandel des Ausnahmezustands

Welche Umstände und Randbedingungen haben diesen »Corona-Putsch« der Exekutive möglich gemacht? Wenn man nicht der Theorie anhängen möchte, die Kanzlerin und ihre Regierungsmannschaft (und ihre Äquivalente in anderen Nationen) sei nichts weiter als die Marionette einer geheimen oder faktischen »Weltregierung«, die im Hintergrund das Geschehen orchestriert, dann muss man auf strukturelle und kulturelle Voraussetzungen der betreffenden Ereignisse zurückgreifen.

»Strukturell« soll hier bedeuten: auf die Eigenschaften regelmäßig wiederkehrender Situationen bezogen, aus denen sich Kriterien und Erwartungen für den Erfolg von Handlungen ableiten lassen.

»Kulturell« soll bedeuten: auf über längere Zeiträume eingeübte kollektive Wahrnehmungsschemata bezogen, aus denen sich als Selbstverständlichkeit normierte Verhaltensroutinen ableiten lassen.

Zu den strukturellen Gründen gehört das schon seit Jahrzehnten hauptsächlich im Namen eines »Kampfes gegen den Terror« gewandelte Verständnis staatlicher Gefahrenabwehr, das auch für die Abwehr von »Biogefährdungen« als Blaupause dient. Es beruht nicht auf der Ausrufung des Ausnahmezustands im strikten Sinne, sondern auf einem »antizipierten Ausnahmezustand« (Barczak 2021, S. 47), der als »Vorverlagerung der staatlichen Verteidigungslinie« (a.a.O., S. 35) verstanden wird, um insbesondere, aber nicht nur, terroristische Gefährdungen

»in einem Stadium zu unterbinden …, in denen sie sich noch nicht zu einer manifesten Existenzgefährdung für den Staatsorganismus, die Gesellschaft oder Rechtsordnung ausgewachsen haben. Andernfalls kommt der selbstverteidigende Akt typischerweise zu spät.«

a.a.O., S. 22

Im Zuge dieser »Vorverlagerung« verschieben sich Ausnahmetatbestände zusehends aus dem Verfassungsrecht ins gewöhnliche Recht, mit der Folge einer

»Transformation des Ausnahmezustands, der Schritt für Schritt von einem verfassungsrechtlichen Ausnahmeinstitut in eine vergesetzlichte Dauereinrichtung überführt wird.«

a.a.O., S. 38

Daraus entsteht, was Barczak den »nervösen Staat« nennt, der die Trennung von Normal- und Ausnahmezustand unterminiert (a.a.O.):

»Die Risiko- und Sicherheitsgesellschaft ist ein Könnte-Gesellschaft, in der die Logik der Möglichkeit die Logik der Wirklichkeit unterminiert und das Aufspüren von Gefahrenquellen zu einer Sisyphosaufgabe gerät. Sie ist eine Gesellschaft im Daueralarm bzw. im Zustand der Dauererregung, die sich infolge der permanenten Sorge des Zuspätkommens in einem ständigen Wettlauf mit der gefühlten Unsicherheit befindet. Im Staat der Risiko- und Sicherheitsgesellschaft droht so der Ausnahmezustand zum Normalzustand zu werden oder soll schon längst die Regel bilden.«

a.a.O., S. 3

Die am »Kampf gegen den Terrorismus« entwickelten Instrumentarien und Maßnahmenkataloge sind dann als Konstruktionsschablone für die Übertragung auf andere Politikfelder verwendbar:

»Die nicht selten aufgrund eines bestimmten terroristischen Anlassfalls geschaffenen Präventionsregelungen werden dabei regelmäßig – in einem nächsten Schritt oder uno actu – auf andere, als gleichwertig empfundene Szenarien und Zielgruppen wie Straftaten mit internationalem Bezug, Organisierte Kriminalität, Stalking oder bestimmte Sexualdelikte erstreckt, verallgemeinert und veralltäglicht.«

a.a.O., S. 39

Mit der »Gesellschaft im Zustand der Dauererregung« verweist Barczak auch auf kulturelle Faktoren: die Erregung aus Quellen der Angst und aus Quellen der Moralisierung machen die Sicherheitsgesellschaft zu einer attraktiven Option für alle Interessengruppen und politischen Akteure, die ihre Agenda auf emotionale Mobilisierung gründen: hier können wir nicht nur zwanglos die notorischen Themenfelder »Migration«, »Klima«, »Sexismus«, »Rassismus« und »Kampf gegen Rechts« aufzählen, sondern wir erkennen auch die Wahlverwandtschaft zur emotionalen Mobilisierung in der »Corona-Krise«.

Paul Schreyer hat in »Chronik einer angekündigten Krise« aufgezeigt, welchen historischen Vorlauf das internationale Pandemie-Regime von 2020 hat: Institutionen der biosecurity und ihre Planspiele gehen bis auf die 1990er Jahre zurück, zunächst mit dem Fokus auf mögliche terroristische Anschläge mit biologischen Waffen wie z. B. Anthrax, später mit einem Schwerpunktwechsel auf Epidemien: Gründung des Center for Civilian Biodefense Studies, dem heutigen John Hopkins Center for Health Security, im Jahre 1998, Dark Winter (2001), Global Mercury (2003), Atlantic Storm (2005), SPARS Pandemic 2025–2028 (2017), Clade X (2018), schließlich Event 201 (2019).

Was Barczak anhand der deutschen Politik- und Rechtsentwicklung aufzeigt, nämlich die Logik der sicherheitsstaatlichen Vorverlagerung des Ausnahmezustands, finden wir hier auf dem Gebiet internationaler Organisationen des Gesundheitssektors wieder. Die im Verlaufe der Corona-Krise zu diesem Thema entbrannte Diskussion ist dabei bezeichnend für die Ambiguität des Begriffs der Verschwörungstheorie.

Denn einerseits ist die Existenz dieser Organisationen und Planspiele nicht dazu geeignet, als Beleg für ein gezieltes Herbeiführen der Corona-Pandemie zu dienen – dass die Feuerwehr übt, wie man löscht, bedeutet nicht, dass sie den nächsten Großbrand selbst gelegt hat.

Andererseits packt die unter dem Kampfbegriff »Verschwörungstheorie« geführte Zurückweisung solcher Unterstellungen auch die gesamte rationale, politikwissenschaftlich wohlbegründete Kritik an privatwirtschaftlichen Sonderinteressen, unkontrollierten Machtpositionen und der Fähigkeit, vollendete Tatsachen zu schaffen, mit in den erhobenen Vorwurf des Irrationalismus, oft genug gekleidet in die journalistische Arroganz gegenüber »unsauber« formulierter Kritik.

Zerstörung der deliberativen Demokratie

Der für mein Argument wesentliche Punkt ist, dass zu den betreffenden Planspielen auch eine Komponente der strategischen Krisenkommunikation gehört, die einen Anspruch auf ein wissenschaftsfundiertes Monopol auf objektives, korrektes Wissen einschließt und sich auch anmaßt, einseitig und unter Verletzung jeglicher diskursethischer Prinzipien festzulegen, was »Falschinformationen« ist. Die Mitarbeit oder sogar das vorauseilende Engagement der Mainstream-Medien bei einer solchen Krisenkommunikation darf als fraglos vorausgesetzt werden, weil dies eine nicht zu vergeudende Gelegenheit darstellt, die eigene frühere, an die alternativen und sozialen Medien verlorengegangene Gatekeeper-Funktion über das gesellschaftlich Sagbare wiederherzustellen. Paul Schreyer fasst die Pandemie-Übung »Event 201« so zusammen:

»Das Wesentliche an der Übung wie an der darauffolgenden realen Situation war eine spezifische Verschmelzung der Themen Angst, Massensterben, Ausnahmezustand, staatliche Überforderung, Freiheitsbeschränkungen, Impfstoffe, Pharmaregulierung und Medienstrategie. Konkret gesagt: Eine gesundheitliche Notlage führte zu einem globalen Bedarf an Impfstoffen, für deren Finanzierung, Entwicklung und Verbreitung Konzernen eine aktivere Rolle in der internationalen Politik eingeräumt werden musste, wobei etwaigem Widerstand aus der Bevölkerung mit Hilfe von PR-Strategien und Medien zu begegnen war. Darum ging es bei der Übung – und darum geht es auch heute.«

Schreyer 2020, S. 97 f.

Das Kernproblem an dieser Vorgehensweise ist: unter den Bedingungen der heutigen Kommunikations- und Wissensgesellschaft wird sich ein nicht geringer Teil der Öffentlichkeit über den strategischen, das heißt manipulativen Charakter der offiziellen Kommunikation nicht nur nicht täuschen lassen (diese Möglichkeit hatte auch schon der Sowjetbürger), sondern obendrein die Lücken, Lügen und Fehler der offiziellen Kommunikation zuverlässig nachweisen. Kritische Öffentlichkeit und auf Diskurskontrolle zielender Staat treten dann in eine Spirale eines sich steigernden Vertrauensverlusts einerseits und verstärkten Kontrollbemühungen andererseits ein. Auf diese Weise wird ein Fundament der modernen Demokratie zerstört: das Vertrauen in die Möglichkeit der deliberativen Demokratie, das heißt: das Vertrauen in die Macht der rationalen öffentlichen Debatte, am Ende den »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« zur Geltung kommen zu lassen.

An die Stelle des vernünftigen Diskurses tritt ein Tribalismus politischer Glaubenskongregationen, die sich gegenseitig als dämonische Welt- und Menschheitsfeinde denunzieren. Der »Irrationalismus«, den das »Zentrum« der Gesellschaft an ihrer »Peripherie« wähnte und dort draußen eindämmen wollte, wird auf diese Weise zum Funktionsprinzip des Zentrums selbst gemacht. »Corona« wird auf diesem Wege zum Kulminationspunkt einer neuen politischen Religion, die an den negativen Zivilisationsmythen der feministischen, der intersektionalen und der »antirassistischen« Kritik sowie an der Klimapanik und einem in blanker Selbstgerechtigkeit hohldrehenden »Kampf gegen Rechts« schon viel früher eingeübt worden ist.

Literatur

  • Barczak, Tristan (2021), Der nervöse Staat. Ausnahmezustand und Resilienz des Rechts in der Sicherheitsgesellschaft. 2. Auflage. Tübingen: Mohr Siebeck
  • Hofbauer, Hannes; Kraft, Stefan (2021), Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand. Wien: Promedia
  • Lütge, Christoph; Esfeld, Michael (2021), Und die Freiheit? Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen. München: riva
  • Nassehi, Armin; Weber, Georg (1988), Verdrängung des Todes — Kulturkritisches Vorurteil oder Strukturmerkmal moderner Gesellschaften? Systemtheoretische und wissenssoziologische Überlegungen. Soziale Welt, 39(4), 377-396
  • Nassehi, Armin; Weber, Georg (1989), Tod, Modernität und Gesellschaft. Entwurf einer Theorie der Todesverdrängung. Opladen: Westdeutscher Verlag
  • Schreyer, Paul (2020), Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte. Frankfurt a. M.: Westend

18 Kommentare

  1. Sabrina Seerose

    Danke für den wichtigen, fundierten Beitrag zum Thema!

    Im Zusammenhang mit der folgenden Textpassage
    “»Kulturell« soll bedeuten: auf über längere Zeiträume eingeübte kollektive Wahrnehmungsschemata…”
    würde ich vorschlagen, den Begriff “kulturell” durch “interkulturell” zu ersetzen, zumal es sich bei dieser neuzeitlichen „kulturellen“ wohl eher um eine INTERKULTURELLE Einübung, aufbauend auf dem seit längerem in seiner Spezifik betriebenen “Globalisierungsprozeß” handelt.
    Dieser Prozeß wird besonders gut erkennbar, wenn man sich die fast zeitgleich mit nur wenig-nuancierten Ausnahmen getroffenen länderübergreifenden Maßnahmen eines „Corona-Regimes“ weltweit anschaut
    Warum ausgerechnet das Globalisierungs-fortgeschrittene Schweden in der westlichen Welt dabei eine Ausnahme bildet/bilden durfte bleibt klärungsbedürftig.

    Ein weiteres, naheliegendes Stichwort zum “politisch-religiös betriebenen “Corona”-Thema, ist die “hybride Kriegsführung.
    Wenn man “hybride Kriegsführung” googelt erhält man folgende Eingangsbeschreibung:
    „2016 diagnostizierten Geostrategen auf einem NATO-Gipfel, dass die neuen Konflikte „nicht mehr nur von Waffenstärke, sondern auch von […] sozialen Techniken zur Spaltung von Gesellschaften bestimmt“ werden.“

    • Ingbert Jüdt

      @Sabrina Seerose:

      Vielen Dank für das Lob! 🙂

      »Kulturell« oder »interkulturell«? Mit »kulturell« meine ich nicht unbedingt die Kultur eines Nationalstaats. Was wir »den Westen« nennen, hat ja staatenübergreifend immer noch einen gemeinsamen Bestand an Werten, und auch bestimmte Trends und Denkbewegungen betreffen diese »westliche Wertegemeinschaft« als Ganze.

      Und soweit es die erstaunliche Einheitlichkeit der Reaktion auf das Virus betrifft, würde ich das weniger auf »kulturelle Einübung« zuschreiben, sondern auf die von Paul Schreyer beschriebene organisatorische Einübung.

      Hybride Kriegführung: der Kollaps von Gesellschaften in identitäre Gruppen ist ja in Ländern mit einem hohen Stellenwert religiösen Glaubens ohnehin viel weiter fortgeschritten als bei uns, das betrifft vor allem den islamischen Bereich, aber auch jüdischen Fundamentalismus in Israel und christlichen Fundamentalismus in den USA.

      Der Begriff der »politischen Religion« (geprägt von Eric Voegelin) bezieht sich vor allem auf das Phänomen, das »weltimmanente« Formen von Gläubigkeit auch, oder gerade, in Ländern entstehen und einflußreich werden, die mehrheitlich einen Prozess der Säkularisierung durchgemacht haben. Voegelin hat dabei vor allem Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus im Blick, die beide auf ihre Weise religionsfeindlich waren.

      • Sabrina Seerose

        “»Kulturell« oder »interkulturell«? Mit »kulturell« meine ich nicht unbedingt die Kultur eines Nationalstaats. Was wir »den Westen« nennen, hat ja staatenübergreifend immer noch einen gemeinsamen Bestand an Werten, und auch bestimmte Trends und Denkbewegungen betreffen diese »westliche Wertegemeinschaft« als Ganze.”

        Die “Kultur eines Nationalstaats” ist ebenso wie die “Kultur der westlichen Wertegemeinschaft” in Auflösung begriffen, wobei ich Letztere nicht als uneinnehmbares Bollwerk gegen die “Herausforderungen” sehe, wenn ich z.B. an die Profilierungs-Möglichkeiten durch die uneingeschränkte Diskriminierung des “alten weißen heterosexuellen Mannes” denke.
        Weitere Eckfeiler dieser “interkulturellen Einübung” sind aber sicher auch die UN-Programme, wie die der “replacement migration,” und andere darauf aufbauende Programme, die bereits jetzt bei “uns” garvierende rechtspolitische und sicherheitspolitische Veränderungen herbeigeführt haben, nicht zuletzt bedingt durch die Erfahrung von “Kultur-Bereicherung”, wobei von maßgeblicher Seite ja bekanntlich das tagtägliche Aushandeln des sozialen Miteinanders für erstrebenswert und förderungswürdig gehalten wird.

        “Hybride Kriegführung: der Kollaps von Gesellschaften in identitäre Gruppen ist ja in Ländern mit einem hohen Stellenwert religiösen Glaubens ohnehin viel weiter fortgeschritten als bei uns…”

        Ich halte “unsere westliche Welt” auch nicht für das uneinnehmbare Bollwerk der Säkularisierung gegenüber den von Kollaps gezeichneten Gesellschaften mit einem hohen Stellenwert religiösen Glaubens, zumal bei uns die Ersatzreligion(en), wie z.B. Feminismus und GenderMainstreaming, aber auch der Glaube an die menschengemachte Klimakatastrophe, nebst Ablaßhandel, einen zunehmend dominierenden und “alternativlosen Ewigkeitswert” zugebilligt bekommen.

        • Ingbert Jüdt

          @Sabrina Seerose:

          »Die „Kultur eines Nationalstaats“ ist ebenso wie die „Kultur der westlichen Wertegemeinschaft“ in Auflösung begriffen«

          Diese Gefahr sehe ich auch, der »Witz« ist nur, dass unsere politischen und intellektuellen Eliten sich immer noch einreden, sie befänden sich im Einklang mit diesen Werten – und solange sie das tun, sollte man m. E. versuchen, sie bei diesem Widerspruch zu packen.

          »Ich halte „unsere westliche Welt“ auch nicht für das uneinnehmbare Bollwerk der Säkularisierung gegenüber den von Kollaps gezeichneten Gesellschaften mit einem hohen Stellenwert religiösen Glaubens, zumal bei uns die Ersatzreligion(en), wie z.B. Feminismus und GenderMainstreaming, aber auch der Glaube an die menschengemachte Klimakatastrophe, nebst Ablaßhandel, einen zunehmend dominierenden und „alternativlosen Ewigkeitswert“ zugebilligt bekommen.«

          Genau auf solche Entwicklungen zielt der Begriff der »Politischen Religion« ab. An ein »uneinnehmbares Bollwerk« glaube ich auch nicht, aber ebenso weigere ich mich, diesen Kampf schon verloren zu geben.

          • Sabrina Seerose

            “…aber ebenso weigere ich mich, diesen Kampf schon verloren zu geben.”

            Recht so! In Abwandlung eines bekannten Spruchs sage ich dazu:
            Wer kämpft, kann GEWINNEN; wer nicht kämpft, hat schon verloren.

          • Pingpong

            Wer kämpft, kann GEWINNEN; wer nicht kämpft, hat schon verloren.

            Bei der Pandemie hast du ziemlich schnell aufgegeben bzw. gar nicht erst angefangen zu kämpfen. Im Gegenteil, du hintertreibst jegliche Anstrengungen, die weitere Erkrankte und Tote verhindern könnten. Bravo.

          • Ingbert Jüdt

            @Pingpong:

            Ooch komm, lass’ Dir ein paar intelligentere Provokationen einfallen! 🙁

          • pingpong

            Ooch komm, lass’ Dir ein paar intelligentere Provokationen einfallen!

            Welche Provokation?

            Wenigstens bin ich in guter Gesellschaft, deine Unterstellung ist ja auch nicht gerade originell. 🙁

            Du musst bedenken, Sabrina glaubt z.B. solchen Unsinn. Da muss man ganz langsam und klar sprechen, und dadurch erfüllt der Beitrag eventuell nicht deine hohen Qualitäts-Standards.

            Bei dem was ich bis jetzt von Sabrina gelesen habe ist ihr Spruch oben eine reine Luftnummer fürs gute Gefühl. Cheap talk ist cheap. Und das benenne ich mit klaren Worten.

            Die weiteren Meldungen des Tages: Wien ist nach 3 Jahren an der Spitze nicht mehr lebenswerteste Stadt der Welt, viele andere europäische Städte ebenfalls stark nach hinten gerutscht.
            Den Titel hat jetzt so eine Stadt in einem autoritären Unterdrückerstaat, wo die Menschen ihrer persönlichen Freiheiten und Grundrechte beraubt werden. Jemand sollte das den Leuten vom Economist mal mitteilen, damit sie ihr Fehl-Ranking rückgängig machen können. Vielleicht muss man nur die Kriterien ein bisschen anpassen?

            “Bewertet werden Gesundheitssystem, Bildung, Kultur und Infrastruktur. Ebenso soziale Sicherheit, politische Stabilität und die Kriminalitätsrate.”

          • Ingbert Jüdt

            Lieber Pingpong, wir haben unsere Argumente längst ausgetauscht – meine überzeugen Dich nicht, Deine überzeugen mich nicht. Also erspare uns hier bitte eine weitere Iteration. »Corona« hat eine unüberbrückbare Spaltung der öffentlichen Meinung hervorgebracht, und wir stehen da auf unterschiedlichen Seiten.

            And that’s the way it is.

          • pingpong

            »Corona« hat eine unüberbrückbare Spaltung der öffentlichen Meinung hervorgebracht

            Sprich für dich selbst. Wenn du “öffentlich” gegen “veröffentlicht” austauscht, dann bist du m.E. näher dran.

            Wer auf welcher “Seite” steht ist mir zweitrangig, und mir liegt nichts an einer weiteren Iteration einer unproduktiven Diskussion.

            Weiter unten ist eine offene Frage, ein zentraler Punkt in deinem Text. Darf man im Sinne des Blog-Untertitels darauf hinweisen, dass ein solcher zentraler Punkt mehr Aufmerksamkeit verdient hat als du ihm zukommen lässt? Deine Argumentationen sind ja bei anderen Punkten wie gewohnt gründlich und ausführlich recherchiert – da fällt es umso mehr auf wenn ein wesentlicher Punkt mit ein zwei Sätzen abgehandelt wird.

          • pingpong

            p.s: Es geht mir nicht darum, dass oder ob wir in der Beantwortung dieser Frage zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

            Es geht mir darum, zuerst einmal überhaupt Klarheit über die Frage zu erzielen. Was bedeutet “wesentlich”? Kann man das vielleicht auch weglassen – wenn nein warum nicht? Welche Kriterien werden zur Beurteilung der Gefährlichkeit herangezogen und wie werden diese gewichtet?

            Eine Diskussion ohne Klärung dieser Punkte läuft Gefahr sich ins unendliche zu verlaufen.

  2. pingpong

    Es wird gesagt, der Vergleich zwischen Influenza und Covid-19 sei nicht statthaft, weil das Corona-Virus wesentlich gefährlicher sei als das Influenza-Virus.

    Das ist eine Frage, die man überprüfen kann.

    Wenn man zudem so sehr auf dem Vorrang der emotional unbeeindruckten Vernunft insistiert, dann tut man gut daran sie auch tatsächlich zu überprüfen und kein hand-waving zu betreiben. Man fällt sonst durch die Ansprüche, die man selbst aufgestellt hat. Dass du diesen Ansprüchen durchaus genügen kannst hast du eindrucksvoll bewiesen mit den ausführlichen Quellenangaben zu den “Panikpapieren” und dessen Hintergründe, durch gezählte 6 Links (von denen der erste bei mir ins Leere bzw. auf eine Registrierungspflicht führt) für die Tatsache die Grippewelle 2018 hätte die KH an die Grenzen gebracht, und durch eine Vielzahl an weiteren informativen Verlinkungen und Ressourcen.

    Schade, dass gerade bei diesem zentralen Punkt die Lust am handwerklich Sauberen Arbeiten erkennbar nachlässt.

  3. Elmar Diederichs

    Danke, schön gemacht. 🙂

  4. pingpong

    @djadmoros:

    Das könnte dich interessieren:
    https://oe1.orf.at/player/20210709/644804
    Punkt eins:
    Der Wettstreit um das bessere Wissen – Wie Wissenskonflikte die Demokratie lähmen.

    Coronakrise, Impfkontroverse, Klimastreit, Kriminalitätsdebatte – in den heutigen Wissensgesellschaften werde hauptsächlich über Zahlen, Fakten und Daten gestritten, statt über Werte und Weltanschauungen, kritisiert der deutsche Soziologe Alexander Bogner und Präsident der „Österreichischen Gesellschaft für Soziologie“ in seinem Essay „Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet“.

    Nachzuholen noch bis nächsten Freitag.

    • Ingbert Jüdt

      @pingpong:

      Danke für den Hinweis! Tatsächlich kenne ich das Buch schon und habe es auch schon gelesen – es ist ein schmales Reclam-Bändchen von schnell bewältigbarem Umfang. Inhaltlich kann ich es uneingeschränkt empfehlen. Mit der These, dass es in der Politik auf die Orientierung an Werten (und ihre explizite Verteidigung) ankommt, nicht auf das Sich-Verstecken hinter vermeintlich wissenschaftlich objektiven Alternativlosigkeiten, vertritt Bogner ähnliche Ansichten wie Michael Esfeld und Christoph Lütge in »Und die Freiheit?«

      • pingpong

        Ich habe den Essay von Bogner nicht gelesen und kenne seine Ansichten nur aus seinen Aussagen aus der verlinkten Sendung. Von Esfeld & Lütge habe ich die frei verfügbare Leseprobe gelesen, sowie von Esfeld noch einiges andere.

        Meiner Einschätzung nach tun Esfeld & Lütge über weite Teile das, was Bogner kritisiert: Streiten um Zahlen, Daten & Fakten. Buchstäblich im erste Satz im ersten Kapitel ihres Buches geht es gleich einmal mit der “epdemiologischen Faktenlage” los.

        Wenn, wie sie sagen, “keine bestimmte Handlungsstrategie aus den Fakten folgt” (Kap. 1), warum verwenden sie dann so viel Zeit und Energie darauf genau diese Fakten darzustellen und zu diskutieren?

        Im zweiten Kapitel: Meta-Studie von JP Ioannidis et al im European Journal of Clinical Investigation, eine andere Studie in Nature Scientific Reports kommt zu dem Schluss, die North/South Dakota Geschichte, die Ergebnisse in Florida.

        Die Ergebnisse in Schweden: “Es wird nämlich immer wieder auch behauptet, die Zahlen in Schweden seien schlechter als die in den Nachbarländern Norwegen und Finnland. Tatsächlich lassen sich etwaige Unterschiede jedoch nicht mit grundsätzlich unterschiedlichen Herangehensweisen begründen. Norwegen und Finnland hatten zwar…”
        es folgt ein längere Abhandlung über die genauen Unterschiede in den Fakten und Zahlen und deren eventuelle Begründung.

        Mit anderen Worten: “in den heutigen Wissensgesellschaften werde hauptsächlich über Zahlen, Fakten und Daten gestritten, statt über Werte und Weltanschauungen, kritisiert der deutsche Soziologe Alexander Bogner”

        Aber eventuell ist die Leseprobe des Buches von Esfeld & Lütgen zu kurz und meine Darstellung ihrer Position ist ungerechtfertigt – ich kenne wie gesagt den gesamten Text nicht.

        Die wesentliche Frage ist: wie wollen wir leben? Es liegt an uns, das zu entschieden und entsprechend zu handeln.

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