Sozialwissenschaftliche Vernunft

Aus gegebenem Anlass (II)

Ich hatte auf dem Telegram-Kanal der Karlsruher Querdenken-Gruppe zeitweise Admin-Funktionen inne. Diese hatte ich übernommen, weil innerhalb der Gruppe ein Bedürfnis entstanden war, regelmäßig wiederkehrende Verlinkungen zu Webseiten, die inhaltlich das Gedankengut der sogenannten »Reichsbürger-Szene« repräsentieren, zu unterbinden und sich thematisch auf das Kernanliegen von Querdenken, die Kritik des Corona-Krisenmanagements der Bundesregierung, zu fokussieren. Ich habe die von mir vorgenommene Löschung entsprechender Links damit verteidigt, dass das Verständnis einer »Verfassunggebenden Versammlung« vom Grundgesetz, wie es auf der verlinkten Website zum Ausdruck kam, nicht nur generell mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, sondern sich auch nicht mit den Intentionen von Michael Ballweg deckt, der ein Verfassungsplebiszit auf der Grundlage von Art. 146 GG ins Spiel gebracht hatte. Inzwischen bin von meinen Admin-Funktionen in dieser Gruppe auf eigenen Wunsch hin wieder entbunden worden. Der konkrete Anlass hierzu bestand für mich in weiteren Verlinkungen und Kommentaren, die ich als gezielte Provokation einer Einzelperson werten musste, weil sie zudem mit persönlichen Angriffen auf mich selbst verbunden waren. Die tiefere Ursache liegt freilich darin, dass ich nicht mehr davon überzeugt bin, dass mein Verständnis des Grundgesetzes mit dem von Michael Ballweg übereinstimmt, seitdem »Querdenken 711« eine Pressemitteilung über ein Arbeitstreffen herausgegeben hat, das auf dem Grundstück von Peter Fitzek, dem selbsternannten »König von Deutschland« stattfand.

In dieser Pressemitteilung macht »Querdenken 711« einerseits eine Unvereinbarkeit der eigenen Position mit denen der »Reichsbürger-Bewegung« geltend, nimmt aber andererseits Peter Fitzek ausdrücklich von dem Vorwurf aus, er sei dieser Szene zuzurechnen:

»Die Ideologie der Reichsbürger deckt sich nicht mit den Motiven der Querdenken-Initiative und hat damit nichts zu tun. Es war auch kein Treffen zwischen einer Reichsbürger-Bewegung und der Querdenken-Initiative. Anwesend war auch Herr Peter Fitzeck, der aus unserer Sicht fälschlicherweise der Reichsbürgerszene zugerechnet wird. Tatsächlich ist er jemand, der auf dem Boden des Grundgesetzes nach Gesetzeslücken sucht, die eine weitgehende Autonomie von staatlichen Strukturen – wie z B. Finanz- und Gesundheitssystem – ermöglicht.«

Wenn man sich die im Netz zugänglichen Auftritte und Informationen zu Peter Fitzek näher anschaut, wird freilich unter anderem folgendes klar: Fitzek teilt die wesentlichen Ansichten der »Reichsbürger« zum Status der Bundesrepublik Deutschland (kein Staat, sondern nur ein »Verwaltungsgebilde« für eine »Übergangszeit«) und zur Wiederherstellung des »handlungsunfähigen« deutschen Reiches auf dem Territorialstand von 1937 bzw. 1914, er lehnt die für die Reichsbürgerszene typischen »kommissarischen Reichsregierungen« nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern nur aufgrund praktischer Gründe bezüglich der »Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit« des Deutschen Reiches ab, und zudem ist die Definition des »Königreichs Deutschland« als »Weltanschauungsgemeinschaft« mit der aus Art. 3 und 4 GG normativ abgeleiteten weltanschaulichen Neutralität des Staates unvereinbar.

Die betreffende Pressemitteilung ist daher ersichtlich unfähig, die Zuordnung von Peter Fitzek zur »Reichsbürger-Bewegung« als in der Substanz seiner eigenen Äußerungen wohlbegründet zu erkennen, wenn sie formuliert:

»Ob jemand durch Dritte als Reichsbürger bezeichnet wird, oder als Links-Autonomer, oder als was auch immer, das ist dabei für uns unerheblich. Querdenken heißt miteinander sprechen und nicht übereinander, oder zu hetzen. Querdenken heißt Respekt vor den Menschen und seiner Individualität und seinem Weltbild.«

Aus dem Zusammenhang wird auch klar, dass »Querdenken« hier nicht eine »Falle« gestellt worden ist, wie das beispielsweise von Martin Lejeune unterstellt worden ist, sondern dass zumindest die Führungsfigur der Bewegung und seine Umgebung hier mit Vorsatz gehandelt haben. Das geht auch aus der Einladungsmail zu diesem Treffen hervor, die Christian Kreiß bei Telepolis dokumentiert hat, insofern Michael Ballweg dort mit eigenem Namen unterzeichnet und um äußerste Verschwiegenheit bittet, nicht zuletzt auch darauf hinweist, dass »die Informationen im Nachgang NICHT geteilt werden«.

In der Pressemitteilung erscheint aber nicht nur das sachliche Urteilsvermögen getrübt, sondern dieser Stellungnahme fehlt obendrein ein Gespür für die Relevanz inhaltlicher Standpunkte und für den Sinn von Konflikten. Respekt vor Menschen in ihrer Individualität sollte eine Selbstverständlichkeit sein, aber ein gleichrangiger Respekt vor Weltbildern folgt daraus nur dann, soweit diese Weltbilder von Art. 4 GG als Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit geschützt sind:

»Als subjektive Rechte gewährleisten sie die Freiheit, einen Glauben oder eine Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft zu bekennen oder auch abzulehnen und über beides zu schweigen; sie begründen Ansprüche auf Schutz vor Störungen und auf Unterlassung jeglichen unmittelbaren oder mittelbaren Glaubenszwangs oder des Zwangs zu einem weltanschaulichen Bekenntnis.« (Hesse 1999, S. 167)

Der Zweck dieser Grundrechte liegt aber nicht allein im Schutz einer persönlichen Sphäre der Gewissens- und Bekenntnisfreiheit um ihrer selbst willen, sondern diese Sphäre soll auch einen von Zwang unbeeinflussten Startpunkt für den Eintritt in die öffentliche Auseinandersetzung um den Wert von Ideen konstituieren:

»(D)as Grundgesetz … gewährleistet freie Auseinandersetzung und freien Konsens über das Wahre und Richtige, die beide der rationalen Kommunikation bedürfen, nicht erzwingbar sind und darum praktische Toleranz auch gegenüber dem Außenseiter umschließen.« (a.a.O. S. 168)

Die aus der Gewissens- und Bekenntnisfreiheit folgende Meinungsfreiheit impliziert jedoch nicht, dass die solchermaßen geschützten Standpunkte im Raum der öffentlichen Meinung beziehungslos nebeneinander stehen, sondern sie befinden sich wesentlich in konflikthaften Beziehungen zueinander:

»Die freie Bildung und Verbreitung politischer Anschauungen, die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen ermöglicht das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG)«. (a.a.O. S. 72)

Der Raum der öffentlichen Meinung ist ein Raum des Kampfes der Meinungen und, insoweit sich diese Meinungen auf die Grundlagen des Zusammenlebens der Bürger beziehen, zugleich ein Raum der politischen Konfliktaustragung. »Respekt vor Weltbildern« kann daher nicht bedeuten, den Inhalt von Weltbildern öffentlich wertungsfrei zu stellen. Dies gilt umso mehr, da Michael Ballweg als führender Repräsentant von »Querdenken« sich mit Peter Fitzek nicht zum Beten getroffen hat, sondern um eine Vernetzung politischer Initiativen herbeizuführen.

Hier sehe ich ein grundsätzliches Problem der Querdenken-Initiative: sie bleibt im Vorpolitischen, weil sie das Wesen des politischen Konflikts als Abwertung von Menschen missversteht. Die Bewertung von Menschen mit der Bewertung von Ideen zu verwechseln, verurteilt die Bewegung zu einer grundsätzlichen Konfliktunfähigkeit. Dies ist zwar einerseits den denunzierenden Vereinfachungen geschuldet, die der Bewegung von außen zugeschrieben werden, andererseits enthebt dieser Umstand sie nicht der Aufgabe, ein inhaltlich scharfes Profil zu entwickeln, das in einer Konkurrenz zu anderen Ideen Bestand haben kann und in der die Abgrenzungen zu anderen Ideen nicht um ihrer selbst willen erfolgen, sondern zwanglos als Unvereinbarkeiten aus der klaren inhaltlichen Stellungnahme hervorgehen. Ich denke inzwischen, dass Michael Ballweg und sein persönliches Umfeld weder zu einer solchen klaren Profilierung in der Lage noch überhaupt mit einem klaren politischen Urteilsvermögen begabt sind.

Literatur:

  • Di Fabio, Udo (2020): Grundgesetz. Mit Menschenrechtskonvention, Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Parteiengesetz, Untersuchungsausschussgesetz, Gesetz über den Petitionsausschuss, Vertrag über die Europäische Union, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Charta der Grundrechte der Europäischen Union : Textausgabe. 51. Auflage, Stand: 1. März 2020. München: dtv
  • Hesse, Konrad (1999), Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. 20. Auflage. Heidelberg: Müller.
  • Kreiß, Christian (2020), Meine Erfahrungen mit Querdenken.
  • Querdenken 711 – Stuttgart (2020), Pressemitteilung: Arbeitstreffen am 15.11.2020 in Wöhlsdorf bei Saalfeld

2 Kommentare

  1. Mario

    Inzwischen bin von meinen Admin-Funktionen in dieser Gruppe auf eigenen Wunsch hin wieder entbunden worden. Der konkrete Anlass hierzu bestand für mich in weiteren Verlinkungen und Kommentaren, die ich als gezielte Provokation einer Einzelperson werten musste, weil sie zudem mit persönlichen Angriffen auf mich selbst verbunden waren.

    Zumindest dazu kann ich sagen: Wtf!?! Ob dein Handeln als Zensur gewertet kann oder nicht, darüber könnte man vielleicht auch noch diskutieren, wäre mir gerade aber auch zu müßig.
    Aber was zur Hölle erwartest du denn, wenn du Beiträge, Kommentare, Links etc. von anderen Leuten löscht oder sperrst etc? Meinst du, die müssten dir dein Admin-Köpfchen tätscheln und “Fein gemacht” sagen?

    Natürlich führen solche Löschaktionen zu Gegenreaktionen – und die sind manchmal eben nicht so nett. Damit muss man aber umgehen können, wenn man sich in die Öffentlichkeit begibt.

    • ijuedt

      @Mario:

      Naja, es ging nicht nur um Verbalinjurien, sondern um versuchtes Doxing. Derjenige hat zwar nichts herausgefunden, was man nicht auch googeln könnte, aber die Absicht war klar erkennbar. Und wie im Blogpost schon gesagt: entscheidend war füre mich, dass die Rahmenbedingungen nicht mehr passten.

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