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20. Dezember 2015

Auf die Nähe mancher feministischer Texte zu faschistischem Gedankengut ist schon öfter hingewiesen worden. Lucas Schoppe hat vor zweieinhalb Jahren Valerie Solanas’ »SCUM Manifesto« als faschistischen Text analysiert, sowohl Jungle World als auch konkret haben noch am Ende des letzten Jahrhunderts eine in Leni Riefenstahl verliebte Alice Schwarzer zerpflückt, der Austausch der Vokabel »Männer« gegen »Schwarze« oder »Juden« ist als Lackmustest für Sexismus in Texten und Reden inzwischen wohletabliert, und Mary Dalys Massenvernichtungsphantasie an Männern hat sogar die ideologische Säuberung der deutschsprachigen Wikipedia durch feministische Kader überlebt. Dass der zeitgenössische Feminismus also einige extremistische Auswüchse hervorgebracht hat, ist unbestritten, und auf die Bereitschaft von Feministinnen, mit derlei Radikalismus zumindest zu kokettieren, hat der erwähnte Blogpost von Lucas Schoppe hingewiesen.

Diese Diskussion eines »Femifaschismus« ist nun dadurch gekennzeichnet, dass sie den Analogieschluss zum Antisemitismus auf dessen massenmörderische letzte Phase während der nationalsozialistischen Herrschaft bezieht. Das impliziert: wenn (feministische) Männerverachtung und Antisemitismus in sinnvoller Weise vegleichbar sein sollen, dann muss ein Bezug über Massenvernichtungsphantasien hergestellt und müssen diese im Feminismus nachgewiesen werden. Obwohl das nicht unmöglich ist, liegt die Latte damit ziemlich hoch. Ich möchte – ausgehend von einem Text der Historikerin Shulamit Volkov, Antisemitismus als kultureller Code – einen solchen Vergleich nicht auf die nationalsozialistische, sondern die wilhelminische Phase des deutschen Antisemitismus beziehen, weil die Analogien zwischen diesem und ideologisch motivierter Männerverachtung meines Erachtens hierbei sehr viel deutlicher zu Tage treten.

(1) Antisemitismus als kultureller Code

Der Antisemitismus des wilhelminischen Kaiserreiches war integraler Bestandteil einer reaktionären, autoritären und antimodernen Kultur insbesondere der Eliten und des Mittelstandes. Er fuktionierte und wirkte nicht losgelöst von anderen weltanschaulichen Elementen dieser Kultur, sondern im Verbund mit ihnen. Die moderne, nicht länger religiös begründete Verachtung der Juden funktionierte, weil sie auf modernitätsfeindliche Einstellungen und romantische Sehnsüchte nach einer vemeintlich besseren vorindustriellen Vergangenheit bezogen werden konnte, indem sie die negativen Seiten der Modernität symbolisierte. Der jüdische Kaufmann repräsentierte den modernen Kapitalisten, der jüdische Intellektuelle den modernen Rationalisten, der Vorwurf einer spezifisch »jüdischen Geilheit« die sexuelle Emanzipation.

»Um die Jahrhundertwende zeigte ein Teil der deutschen Gesellschaft ein kulturelles Muster, das dem Syndrom der autoritären Persönlichkeit analog war; es wirkte in ähnlicher Weise auf der Ebene der Rationalität und auf der Ebene der impliziten Werte und Normen, des Lebens- und Denkstils, der normalen Ambitionen und Emotionen. Das Bündel von Ideen, Gefühlen und öffentlichen Verhaltensmustern, das für dieses Syndrom typisch ist, läßt sich nicht unter dem Titel ›Ideologie‹ subsumieren, wie dieser Begriff gemeinhin verstanden wird. (…) Die einmalige deutsche Kultur, die sich in den neunziger Jahren herausbildete, kam in der ›deutschen Ideologie‹ zum Ausdruck; in einer radikal antimodernen Mentalität, die von Liberalismus, Kapitalismus und Sozialismus nichts wissen wollte; in dem sehnsüchtigen Verlangen nach einer längst entschwundenen Welt. Zu ihr gehörte eine Reihe politischer Auffassungen, darunter die Ablehnung der Demokratie und der Ruf nach Wiederherstellung einer völkischen Gemeinschaft in Harmonie und Gerechtigkeit. Sie verband sich mit extremem Nationalismus, kolonialen und imperialen Bestrebungen, Begeisterung für den Krieg und mit dem Eintreten für einen vorindustriellen Sittenkodex, der mehr als nur eine Spur Heuchelei zeigte. In der einen oder anderen Weise ging diese Ideologie stets mit dem Antisemitismus Hand in Hand.«

Volkov 2000: 19 f.

Diese »Paketlösung« war die Form, in der der Antisemitismus seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts sinnvoll erschien:

»So konnte sich der Antisemitismus in studentischen Verbindungen ebenso ausbreiten wie in Lehrer-, Richter- oder Beamtenverbänden. Unmerklich drang er in die Reihen des protestantischen und in geringerem Umfang auch des katholischen Klerus in Deutschland ein. Im Laufe der neunziger Jahre faßte der Antisemitismus in den kleinsten Bürgervereinen, Heimatvereinen und zahllosen sonstigen kulturellen Vereinigungen auf lokaler Ebene Fuß. Der Antisemitismus grassierte. Er war in Berufsverbänden ebenso anzutreffen wie in vielen politischen pressure groups. Lokale Behörden waren von ihm infiziert, und überregionale Regierungen vermieden nur mit Mühe das offene Eingeständnis ihres Antisemitismus und mußten zunehmend die Stimmung im Lande berücksichtigen.«

Volkov 2000: 16

Volkov weist auf die pragmatische Funktion antisemitischer Bekenntnisse hin: »Das Bekenntnis zum Antisemitismus wurde zu einem Signum kultureller Identität, der Zugehörigkeit zu einem spezifischen kulturellen Lager. Man drückte dadurch die Übernahme eines bestimmten Systems von Ideen und die Präferenz für spezifische soziale, politische und moralische Normen aus.« Dieser Antisemitismus ist also noch nicht wie derjenige der Nazis buchstäblich gemeint, er sieht »den Juden« noch nicht in rassenbiologischer Unmittelbarkeit als physisch zu vernichtenden »Volksschädling«, sondern hat das Bewußtsein vom Verweischarakter des »Jüdischen« auf ein umfassenderes System von Überzeugungen noch nicht verloren. Insofern stellte er einen kulturellen Code dar. Innerhalb der antisemitischen Literatur jener Zeit, die durch Verfasser wie Heinrich Claß, Wilhelm Marr, Otto Glagau und Heinrich von Treitschke geprägt wurde, wird die Bedeutung der »Judenfrage« aber durchaus weiter konkretisiert.

(2) »Die soziale Frage ist die Judenfrage«

Der Begriff des »Antisemitismus« wurde mit öffentlicher Breitenwirkung erstmals von Wilhelm Marr geprägt. Er distanziert sich zugleich von emotionalem Judenhaß und fasst das Judentum auf einer abstrakteren Ebene als Ziel auf, ohne es direkt zu benennen.

»›Judentum‹ war … für Marr in der Tat mehr als nur eine kollektive Bezeichnung für die Juden. Es war eine Abstraktion aus allem, was er verabscheute: das Gegenteil einer anderen, genauso vieldeutigen Abstraktion, des ›Deutschtums‹. Trotzdem war der Begriff ›Judentum‹ immer noch zu spezifisch. Er hatte einen zu unmittelbaren Bezug zu lebenden Juden und war daher für Marrs Zwecke ungeeignet. Der Begriff ›Semitismus‹ enthielt den ausreichenden, wiewohl indirekten Hinweis auf Marrs eigentliches Ziel. (…) Ein neuer Begriff war notwendig, um den symbolischen Prozeß auszudrücken, der judenfeindliche Einstellungen zur Analogie für eine ganze Serie anderer Auffassungen machte.«

Volkov 2000: 27 f.

Dieser symbolische Prozess wurde von Otto Glagau konkreter gefasst, indem er den Begriff des Antisemitismus auf ein Schlüsselproblem der Epoche, die sogenannte »soziale Frage« bezog, also auf die vielfältigen gesellschaftlichen Folgeprobleme eines Übergangs zur industriekapitalistischen Gesellschaft wie zum Beispiel der Aufstieg einer »entfremdeten« Industriearbeiterschaft und der Niedergang des alten Handwerks. Glagau identifizierte die Juden mit dem »Manchestertum«, also der radikalsten und in ihren negativen Konsequenzen folgenreichsten Ausprägung des Marktliberalismus im 19. Jahrhundert. Insbesondere die Schuld für den Börsenkrach von 1873 lastete Glagau den Juden an. Seine Schriften sprachen diejenigen an, die von den Versprechungen des Liberalismus wie dem Krisenmanagement der Reichsregierung gleichermaßen enttäuscht waren, ohne sich deshalb dem Sozialismus zuwenden zu wollen. In diese interpretative Leerstelle zwischen den liberalen und sozialistischen Ideologisystemen stieß Glagaus Formel: »Die soziale Frage ist die Judenfrage«. Sie war zugleich hinreichend ungenau und hinreichend falsch, um eine gefühlte anstelle einer analytischen Ursachenforschung für die von seinen Adressaten erlebten Probleme anbieten zu können.

»Glagau hatte eine Analogie benutzt; er hat eine Metapher geschaffen. Wie in der Dichtung kann sich auch in der Sprache der Politik die ›falsche Metapher‹ als die wirksamste erweisen. (…) Für viele von Glagaus Zeitgenossen war seine Metapher offenkundig eine verfehlte Übertreibung – ›Demagogie‹, wie man damals sagte. Aber für Teile des Mittelstandes und für andere, die nach einem Begriffsrahmen zum Verständnis unerwünschter Transformationen suchten, bot sie den lange gesuchten Schlüssel. (…) Glagaus Parole war ›falsch‹, aber sie war einfach, elegant und ungemein suggestiv. Sie war aus dem Zeug, mit dem man Propaganda machte, und sie tat ihre Wirkung. (…) Mittlerweile wurde die Richtigkeit dieses Schlagworts dank seiner unermüdlichen Wiederholung von vielen Menschen nicht mehr angezweifelt. Heftige Angriffe gegen Kapitalismus und Sozialismus sowie die Forderung nach sozialen Reformen unter ständischen Gesichtspunkten waren unfehlbar mit Antisemitismus verknüpft. In den Augen vieler Menschen verdrängte das Schlagwort die Wirklichkeit. Die Verknüpfung wurde als etwas Selbstverständliches hingenommen. Sie wurde Bestandteil der herrschenden Kultur.«

Volkov 2000: S. 29 ff.

Einen weiteren Schritt der Verdichtung der Judenfrage zum vermeintlichen Schlüsselproblem der wilhelminischen Gesellschaft hat schließlich Heinrich von Treitschke getan. Erst Treitschke machte den Antisemitismus für das deutsche Bürgertum und die deutschen Universitäten salonfähig, und auch bei ihm ist der Antisemitismus integraler Bestandteil einer Ideologie des Deutschtums, dessen negative Folie er darstellt. Das deutsche Volk benötigte kein und ihm entsprach kein debattierendes Parlament, sondern die Eintracht von Krone und Volk, statt demokratischer Prozeduren bedurfte es eines wachsenden »Volksbewußtseins«. Das Gegenbild seines Modells stellte dementsprechend der »Kosmopolitismus« dar, der sich vortrefflich als jüdisch konnotieren ließ.

»Die Juden, so Treitschke, bildeten eine Gefahr für das ›neue deutsche Leben, richtig erkannt‹. Sie waren das Gegenteil alles Deutschen, und schon ihre Präsenz war eine Gefahr für die deutsche Kultur. Die Juden standen für ›Lug und Trug‹ und für Materialismus, im Gegensatz zur ›Arbeitsfreudigkeit unseres Volkes‹. Die gesamte geistige Gemeinschaft in Deutschland, erklärte er, sei zu dem unausweichlichen Schluß gelangt: ›Die Juden sind unser Unglück.‹ (…) Die Judenfrage war nicht ein Problem neben anderen, sondern der Kern allen Übels. Mit einem Federstrich wurde ein Einzelproblem zum Inbegriff aller anderen gemacht. Die Juden wurden mit jedem negativen Aspekt des deutschen Lebens gleichgesetzt, obwohl sie nachweislich nur ein bestimmtes Problem bzw. ein bloßes Symptom weit ernsthafterer Übel darstellten.«

Volkov 2000: 32

Volkovs These kann auch erklären, warum eine große Zahl von Deutschen schließlich dem nationalsozialistischen Antisemitismus zu foglen geneigt waren: weil sie die spezifische Radikalisierung, die ihm eigen war, nicht oder nicht rechtzeitig erkannten: der Antisemitismus der Nazis

»bezeichnete nun nicht mehr das Einverständnis mit der alten nationalistischen, konservativen, anti-emanzipatorischen Weltanschauung des Vorkriegs-Deutschlands, sondern verband sich mit der Politik der Gewalt, des Terrors und der Vernichtung. (…) Für sie war ›Antisemitismus‹ ein Schlachtruf mit unmittelbaren Implikationen für das Handeln sowie ein Programm der Einschüchterung und Vernichtung. Für Millionen Deutsche aber und für die Mehrheit der deutschen Juden blieb ›Antisemitismus‹ ein kultureller Code.«

Volkov 2000: 35 f.

(3) »Die ökologische Frage ist die Männerfrage«

Worin sehe ich nun die wesentliche Analogie zur heute grassierenden Männerverachtung? Die Zwischenüberschrift bringt meine These auf den Punkt: während die generelle Disposition zur Männerverachtung, wie Kucklick gezeigt hat, bereits in der modernen Gesellschaft als solcher angelegt ist und in der von Foucault analysierten »Disziplinargesellschaft« eine spezifische Anwendung auf männliche Insassen von Erziehungs-, Korrektions- und Strafanstalten findet, deren männliche Natur der Gesellschaft unterworfen werden muss, so wird sie im öffentlichen Diskurs in dem Augenblick selbständig wirksam, in dem sich eine Reihe von anerkannten gesellschaftlichen Schlüsselproblemen, insbesondere das Problem eines tragfähigen Weltfriedens und die Abwendung ökologischer Katastrophen, als »männliche Probleme« kodieren lassen.

Hierzu trägt entscheidend bei, dass eine Reihe von feministischen Theorien in Teilen der Öffentlichkeit immer noch den Ruf gültiger Analysen genießen, anstatt als die vulgärsoziologischen und küchenpsychologischen Kurzschlüsse benannt zu werden, die sie sind. Während drastische Varianten dieser Theorien, wie sie insbesondere von der sogenannten »Matriarchatsforschung« vertreten werden, auch innerhalb des Feminismus weitgehend diskreditiert sind, sind moderatere Versionen derselben Vorurteilsstruktur auch über den Feminismus hinaus ebenso weithin salonfähig. Ich möchte diese Art der Welterklärung an ein paar Beispielen kurz und schlaglichtartig illustrieren.

Eine aus der »Matriarchatsforschung« hervorgehende »radikale« Idee besteht darin, ein die Jahrtausende übergreifendes »patriarchales Projekt« zu bestimmen, das sich in der Moderne seinem Ziel nähert:

»Dieses Projekt des Patriarchats besteht in nichts Geringerem als dem Versuch, der – insbesondere seit der Moderne gerade auch technologischen – Ersetzung der frauen- und naturgeschaffenen Welt durch eine männliche ›Schöpfung‹, die besser, edler, höher, ewig und vor allem in Zukunft gänzlich unabhängig sein soll von Frauen und Naturbedingungen überhaupt.«

Werlhof 2010: 9

Das Ziel der feministischen Kritik an diesem »Projekt«, die nichts weniger beansprucht, als

»eine allgemeine Erkenntnistheorie zu werden, die alle bisherigen Erkenntnistheorien hinter sich lassen könnte, weil diese allesamt das Patriarchat voraussetzen«,

Werlhof 2010: 9

besteht wiederum darin, andere kritische Theorien zu ersetzen,

»da sie die heute das Leben selbst bedrohenden Zusammenhänge zwischen kapitalistischer Waren-Produktion, neuer weltweiter Hungersnot, globaler Verelendung, neuen technologischen Entwicklungen, Natur-Zerstörung, neuen ideologischen ›Fundamentalismen‹, neuer Frauenfeindlichkeit, neuen totalitären Tendenzen und neuen Kriegen nicht erklären kann.«

Werlhof 2010: 10

Das Bedürfnis, eine universelle Erklärung zeitgenössischer Probleme an eine simple Formel zu knüpfen, springt uns hier geradewegs ins Gesicht. Werlhof hält freilich alle anderen Formen feministischer Kritik außer ihrer eigenen für ungenügend, da diese weiterhin dem universellen Verblendungszusammenhang des Patriarchats verfallen bleiben. Insofern bleibt die von ihr vertretene Richtung auch innerhalb des Feminismus in einem sektiererischen Abseits.

Eine näher an den Begriffen einer kritischen Gesellschaftstheorie operierende These wird von Maria Mies formuliert:

»Was hat die Frauenfrage mit der Ökologiefrage zu tun? (…) Was Natur, Frauen und ›Dritte Welt‹ verbindet, ist die Tatsache, dass diese Bereiche der Wirklichkeit seit der Renaissance die wichtigsten Kolonien des Weissen Mannes sind. Auf ihrer gewaltsamen Unterwerfung und Ausbeutung beruht sein Menschenbild, seine Zivilisation, sein Begriff von Wissenschaft und Technik und Fortschritt, sein Modell von immerwährendem ökonomischem Wachstum, sein Begriff von Freiheit und Emanzipation, seine Gesellschaft und sein Staat. Diese drei Kolonien wurden zur ›Natur‹ erklärt, dass heisst zu Quellen möglichst kostenloser, ausbeutbarer Ressourcen (Rohstoffe, Arbeitskräfte, Leben).«

Mies 1996: 277

Auch hier finden wir die Reduktion einer vielschichtigen historischen Entwicklung auf eine Grundstruktur »patriarchaler Herrschaft«. Während die Entwicklungsgeschichte des westlichen Imperialismus, also Aspekte seiner politischen und ökonomischen Geschichte seit der frühen Neuzeit sich vielleicht noch unter dem Begriff der Kolonialisierung als rotem Faden zusammenfassen lässt, überzieht Mies ihre These dadurch, dass sie die gesamte moderne Gesellschaft, nämlich Menschenbild, Wissenschaft, Technik, sogar die Begriffe von Freiheit und Emanzipation daraus herleiten will. Die grundlegende Denkfigur einer männlichen und patriarchalen Naturzerstörung als Quelle der modernen Gesellschaft und ihrer aktuellen Probleme ist aber von Werlhofs Idee nicht grundsätzlich verschieden.

Eine wiederum andere Variante, die sich weniger auf die ökologische als auf die Weltfriedensproblematik bezieht, ist der psychoanalytisch geprägte Ansatz von Margarete Mitscherlich, den Lucas Schoppe hier bereits ausführlicher untersucht hat. Auch ihre im Vergleich zu Mies und Werlhof differenziertere Kritik bleibt in ihrem Resümee letztlich in einer Psychologisierung gesellschaftlicher Zusammenhänge stecken:

»An der Frau liegt es, männlichem Imponier- und Selbstdarstellungsgehabe, diese Wurzel vieler Gewaltakte und kriegerischer Auseinandersetzungen, die zur Aufrechterhaltung solcher Mentalität notwendige Bewunderung zu versagen. (…) An der Frau liegt es aber auch, die von den Männern ›gepachteten‹ Positionen zu erringen, um ihre ›friedfertigere‹, vernünftigere und objektbezogenere Einstellung zu vielen Fragen der Lebensgestaltung stärker zur Geltung zu bringen.«

Mitscherlich 1987: 183

Schließlich finden wir dieselbe Vorurteilsstruktur auch bei einer nicht aus theoretischen Kontexten stammenden Autorin, nämlich in Karen Duves Essay »Warum die Sache schiefgeht«:

»Die Kulturleistungen, die wir den dominanten Alpha-Männern zu verdanken haben, … sind nichts im Vergleich zu dem, was alles hätte sein können, wenn wir nicht Jahrhundert für Jahrhundert von den aggressivsten, egoistischsten, raffgierigsten und dabei nicht einmal besonders intelligenten Charakteren geleitet worden wären. Die, die immer wieder verhindert oder zunichtegemacht haben, was intelligentere oder sozialere Artgenossen uns hätten bieten können.«

Duve 2014: 121 f.

Auch ihrem »Rant« liegt eine Mischung von misandrischen und biologistischen Stereotypen zugrunde, dessen Simplizität sich umgekehrt proportional zur beanspruchten Reichweite ihres Erklärungsversuchs verhält, und er beeindruckt vor allem durch die Chuzpe, mit dem sie ihre drastischen Vorwürfe ohne jede Spur an systematischer Analyse an ihr Publikum zu bringen versucht.

Diese Beispiele stellen selbstverständlich keine vollständige Kritik der betreffenden Ansätze dar – ich beanspruche aber dennoch, dass es sich um für die betreffenden Verfasserinnen typische und repräsentative Aussagen handelt, die hier als Illustration dienen sollen. Allen diesen Ansätzen ist meines Erachtens gemeinsam, dass sie eine schiefe, unzureichende, psychologisch reduktionistische und damit nicht kritische, sondern selbst mythenbildende Form der Analyse gesellschaftlicher Probleme darstellen, die sich primär dafür eignen, Schuldzuweisungen zu symbolisieren.

Sie liefern einer politischen Agitation damit Scheinlösungen gesellschaftlicher Probleme, die im Kern darauf beruhen, nicht Kausalzusammenhänge zu analysieren, sondern Schuldige zu identifizieren, und auf diese Weise politische Ersatzhandlungen zu legitimieren. Auf diese Weise sind die misandrischen Formen des zeitgenössischen Feminismus einer historisch genau angebbaren Form von Antisemitismus strukturell wesensverwandt. Dass wir hier den deutschen Antisemitismus als Beispiel gewählt haben, steht dem nicht entgegen, dass die genannte feministische Vorurteilsstruktur sich heute über die ganze westliche Welt erstreckt.

Die naheliegende Frage, ob und inwieweit wir mit einer dem historischen Beispiel analogen weiteren Radikalisierung dieser Vorurteilsstruktur rechnen müssen, möchte ich einem weiteren Blogpost vorbehalten.

Literatur:

  • Duve, Karen (2014), Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen. Berlin: Galiani
  • Mies, Maria (1996), Patriarchat und Kapital. Frauen in der internationalen Arbeitssteilung. Zürich: Rotpunktverlag
  • Mitscherlich, Margarete (1987), Die friedfertige Frau. Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Fischer
  • Volkov, Shulamit (2000), Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays. München: C. H. Beck
  • Werlhof, Claudia von (2010), West-End. Das Scheitern der Moderne als »kapitalistisches Patriarchat« und die Logik der Alternativen. Köln: PapyRossa