oder

Wie die Frauenquote den Weltuntergang verhindern soll.

Eine Rezension von Karen Duves »Warum die Sache schiefgeht«

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(20. November 2014)

Deutschland ist um einen Wutbürgertext reicher, diesmal geschrieben von »einer Art feministisch-vegetarischer Pirincci«, nämlich Karen Duve.

Das Buch besteht im Wesentlichen daraus, in vier Kapiteln vier positiv und bis zu einem gewissen Grad auch »männlich« konnotierte Tugenden, nämlich »Einsatzbereitschaft«, »Risikobereitschaft«, »Selbstvertrauen« und »Durchsetzungsvermögen« als solche charakterliche Ausprägungen darzustellen, die entweder auf der Kippe zum Krankhaften stehen oder bereits ins Psychopathologische umgekippt sind, und sie als Ursache einiger zum Untergang der Menschheit führender Probleme dingfest zu machen. Woraufhin dann in einem fünften Kapitel Frauen explizit und offensiv als die »besseren Menschen« beansprucht werden, welche die Herrschaft der männlichen Psychopathen beenden sollen, und im Schlusskapitel doch noch – sicherheitshalber, für alle Fälle, falls es die Frauen auch nicht reißen – das potentielle Aussterben des Menschen zu einem guten Zweck erklärt wird.

Aber der Reihe nach. Duves erste philippische Rede nimmt sich die »Einsatzbereitschaft« vor, und zwar auf Basis einer Kritik des gehobenen Managements. Hier lautet die Kernaussage, dass leitende Angestellte umso wahrscheinlicher »Psychopathen« sind, je mehr sie das Ideal des Managers erfüllen und je höher sie auf der Karriereleiter nach oben steigen. Denn die Kehrseite der »Einsatzbereitschaft« besteht darin, dass sie außer ihrem Job nichts anderes mehr kennen und ihm Partnerschaft und Familie opfern, nur um sich in der geistigen Inzucht einer Elite wiederzufinden, die ihre asozialen Werte für eine höhere Daseinsform hält.

»Was sind schon Freundschaft, Liebe, Bildung und Kultur gegen die Aussicht, ein High Performer mit mehreren Millionen Euro Jahresverdienst zu sein.«

S. 21

Duve kann sich nicht recht entscheiden, ob sie die Entstehung psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale (Gewissenlosigkeit, manipulative Grundhaltung, fehlendes Einfühlungsvermögen, übersteigertes Selbstbewusstsein und hohes Aggressionspotential) biologischen oder psychologischen Ursachen zuordnen soll, neigt aber in Anbetracht der von ihr rezipierten Literatur zu ersterem. Jedenfalls haben Menschen mit einer entsprechenden Persönlichkeitsstörung erhöhte Chancen, in entsprechende Spitzenpositionen zu gelangen.

»Eine höhere Psychopathen-Dichte als in Politik und im oberen Management findet sich nur noch in den Hochsicherheitstrakten amerikanischer Gefängnisse.«

S. 23

Und sobald sich diese Sorte von Leuten einmal durchgesetzt hat, zwingen sie ihrer Umwelt ihre eigenen Verhaltensmuster als Normen auf:

»Hat der Psychopath den Chefsessel erst einmal erreicht, dreht er psychopathisch erst richtig auf und der ganze Konzern muss wie in einer kriminellen Gang das Moralgesetz und die normativen Verhaltensweisen des Anführers übernehmen.«

S. 38

Halten wir an dieser Stelle nur fürs Protokoll fest, dass Duves Erklärungsmodell sich ganz offensichtlich auf der Ebene psychologischer Kausalzusammenhänge bewegt.

Die zweite philippische Rede greift den Wert der »Risikobereitschaft« an. Als besonders risikobereit erscheinen ihr Physiker: sie zünden die erste Atombombe, obwohl die sich nicht ganz sicher sind, dass nicht die gesamte Erdatmosphäre in eine Verbrennungsreaktion eintrete, sie rechnen uns vor, dass Unfälle in Atomkraftwerken aufgrund Unwahrscheinlichkeit auszuschließen seien und sie lassen Hadronen miteinander kollidieren, obwohl sie sich nicht ganz sicher sind, dabei ein Schwarzes Loch zu erzeugen, dass die Erde verschlucken kann. Die »Risikobereitschaft« dieser Physiker, die von der Autorin offenkundig als Risikobereitschaft auf anderer Leute Kosten verstanden wird, hat wiederum psychologische Gründe, denn diese Physiker sind überwiegend männliche, semi-autistische Nerds, die von ihrem eigenen Wissen einfach zu sehr überzeugt sind:

»Die Physiker im CERN sind nicht nur überwiegend männlich, aller Wahrscheinlichkeit nach funktionieren auch noch ihre Gehirne – selbst die der Physikerinnen – deutlich männlicher als männliche Durchschnittshirne.«

S. 67

Und das normale männliche Hirn ist – das entnimmt sie im Umkehrschluss bei Simon Baron-Cohens These vom »extreme male brain« – nur »eine minder schwere Form von Autismus«. (S. 66) Das »männliche« systemische Denken hat seine Vorteile (es bringt Autos und Computer hervor), aber es ist zugleich die Ursache für unbrauchbare Risikoeinschätzungen. »Risikobereitschaft« ist also nur die Unfähigkeit von Nerds, sich selbst und den Nicht-Nerds die Grenzen des Nerd-Wissens einzugestehen.

Die dritte Philippika attackiert das »Selbstvertrauen«. Hier müssen, nach Managern und Physikern, nun Mediziner und Massentierhaltungsbauern als Beispiel herhalten. Mediziner trauen sich zu, Herztransplantationen vorzunehmen und Grauen Star zu operieren, auch wenn ihnen die ersten Experimentalpatienten munter dabei wegsterben oder erst richtig blind dabei werden. Aber Mediziner erfinden immerhin Antibiotika, die eine sinnvolle Erfindung sind, nur dass diese Erfindung dann von bauernschlauen Bauern nach dem Gießkannenprinzip in der Massentierhaltung eingesetzt wird und uns aufgrund der entstehenden Resistenzen mit der Heraufkunft eines postantibiotischen Zeitalters bedrohen. Und die haben so viel Selbstvertrauen zu dem, was sie tun, dass sie jegliche Kritik an ihrem agrarindustriellen Modell einfach vom Tisch wischen:

»Die Natur ist zum Ausbeuten da, das war schon immer so, Wurst gehört zum Brot, und die grünen Spinner haben eh keine Ahnung.«

S. 95

Mediziner machen sich des Selbstvertrauens also nur in einem minder schweren Fall schuldig und können manchmal sogar nützlich sein, aber dafür treiben es die Bauern umso schlimmer: Antibiotikamissbrauch in der Massentierhaltung ist ganz klar auf übersteigertes Selbstbewusstsein des Nährstandes zurückzuführen!

Die vierte Philippika schließlich geht auf den Wert des »Durchsetzungsvermögens« oder Dominanzverhaltens los. Hier muss keine besondere Berufsgruppe den Bösewicht vom Dienst spielen, sondern Duve geißelt die Herrschaft und »die Mächtigen«, die die »friedlich Gestimmten« »über Jahrtausende hinweg« (was sonst) um ihre Möglichkeiten betrogen haben. Das Argument geht so, dass eine Gesellschaft ohne Dominanzhierarchien eine Gesellschaft ist, die niemanden »unterdrückt«, und wenn sie niemanden unterdrückt, dann können diese Nichtunterdrückten ihre Potentiale besser entfalten, als wenn sie unterdrückt wären:

»Welche Erfindungen wären gemacht, welche Kunstwerke geschaffen und welche sozialen Errungenschaften wären etabliert worden, wenn die Mächtigen nicht über Jahrtausende hinweg stets den größten Teil der Gesellschaft unterdrückt und von Entscheidungen, Ressourcen und dem Zugang zu Bildung ausgeschlossen hätten?«

S. 119

Und für den Fall, dass es sich nicht von selbst versteht, werden wir sicherheitshalber noch einmal daran erinnert, dass es sich bei diesen Unterdrückern um Männer handelt:

»Die Kulturleistungen, die wir den dominanten Alpha-Männern zu verdanken haben, mögen ja ganz beeindruckend sein …, aber sie sind nichts im Vergleich zu dem, was alles hätte sein können, wenn wir nicht Jahrhundert für Jahrhundert von den aggressivsten, egoistischsten, raffgierigsten und dabei nicht einmal besonders intelligenten Charakteren geleitet worden wären.«

S. 121

Die ganze Weltgeschichte ist also ein Ausfluss von Charaktermerkmalen, und darum

»wird es Zeit, mal die anderen ans Steuer zu lassen – verantwortungsbewusste, sachorientierte, soziale und zur Selbstbeherrschung fähige Leute.«

S. 122

Frauen? Frauen! Denn bei Männern – und das erfahren wir im fünften Kapitel – ist die höhrere Aggression genetisch verankert:

»Es gibt ein genetisches Merkmal, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Ursache kriminellen Verhaltens ist. (…) In Europa besitzen 93% bis 96% aller Strafgefangenen dieses Merkmal und bei Gewaltverbrechern und Sexualstraftätern ist die Zahl vermutlich noch höher.«

S. 125

Karen Duve meint das Y-Chromosom. Gewalttätige Frauen seien demgegenüber zu vernachlässigen. Und die Gewalttätigkeit des Mannes umfasst nicht nur  Gewaltverbrechen, sondern es gilt auch:

»Bestellt jemand beim Griechen den großen Hierfür-sind-zehn-Tiere-gestorben-Olympia-Teller – sehr wahrscheinlich ein Mann.«

S. 127

Auch der Verzehr von Fleisch ist also letztlich nichts anderes als ein männliches Gewaltverbrechen, und wer wird schon so kleinlich sein, hier auf einer Differenzierung zu bestehen. Mit diesem kruden rassenbiologischen Ausflug hat sich die Autorin aber vermutlich nur ein wenig Entspannung verschafft, denn nun räumt sie etwas milder gestimmt ein:

»Es kommt nicht darauf an, dass Menschen in Führungspositionen von nun an alle einen Busen haben sollen, sondern dass sie soziale und moralische Kompetenzen besitzen.«

S. 143

Aber das sieht sie als nicht praktikabel an, und darum kommt nun der argumentative Höhepunkt des ganzen Buches:

»Emotionale Minderbemitteltheit, ethische Leichtfertigkeit, Geldgier und Machtversessenheit wird man bei Männern viel leichter finden, aber wenn die Quote niedrig genug angesetzt wird, lassen sich auch die entsprechenden Frauen auftreiben. Selbst weibliche Psychopathen ließen sich finden, wenn man unbedingt wollte. Je niedriger die Quote, desto mehr wird das Verhalten der neu eingestellten Frauen dem ihrer Vorgänger ähneln. Deswegen müssen die Regierungen als Normgeber einspringen. Und da man den mächtigsten Männern der Welt schlecht sagen kann: Ihr müsst abtreten, weil ihr problematische Charaktere seid, da könnt ihr zwar auch nichts dafür, aber wenn wir euch weitermachen lassen, werden wir alle draufgehen – ist es am wenigsten heikel, einfach den Gerechtigkeitsaspekt vorzuschieben. Also doch Frauenquote, weil es praktikabel und durchsetzbar ist. Die müsste dann allerdings gleich bis in die Vorstände und Regierungsparteien hineinreichen und so hoch – unter 50% würde sich beim vorgeschobenen Gerechtigkeitsaspekt ja sowieso verbieten – und so kurzfristig angesetzt sein, dass Firmen und Parteien gar nicht genug Zeit bleibt, für sämtliche Stellen Frauen aufzutreiben, die ihren Vorstellungen entsprechen. Nur so kann man sich darauf verlassen, dass die neuen Führungskräfte deutlich anders agieren als ihre Vorgänger und neue Führungsqualitäten erschlossen werden.«

S. 144 f.

Es lohnt sich, dieses Knäuel an Widersprüchen zu entwirren. Erstens: Machthierarchien sind Duve zufolge dadurch gekennzeichnet, dass sich an ihren Spitzen überproportional viele »Psychopathen« befinden und dem jeweiligen Betrieb ihre Moral aufdrücken.

Zweitens: eine dieser von Psychopathen besetzten Machthierarchien, nämlich die politische, wird nun dazu auserwählt, eine Quote durchzusetzen, mit der sie sich unter anderem selbst abschafft.

Drittens: dieser Hierarchie von Psychopathen soll ihre Selbstentleibung dadurch schmackhaft gemacht werden, dass man sich – ausdrücklich als Vorwand – auf den angeblichen Gerechtigkeitsaspekt der Quote beruft, und offenbar darf unterstellt werden, dass die Psychopathen zu blöde sein werden, diesen Vorwand zu durchschauen, obwohl ihn Duve schon ankündigt.

Viertens: sodann soll diese Selbstentleibung so vorgenommen werden, dass schockartig und pauschal ein gesellschaftsumfassender, flächendeckender Personalaustausch vorgenommen wird, bei dem ohne jede Rücksicht auf Erfahrung und Qualifikation Positionsinhaber ausgewechselt werden – weil nicht Sach- und Branchenkenntnis, Berufserfahrung und Bildungsgang eine Rolle spielen, sondern nur charakterlich vorgeprägte »neue Führungsqualitäten«. Die Simplizität dieses Vorschlags ist kaum zu überbieten: wir machen aus einer schlechten Gesellschaft eine gute Gesellschaft, indem wir die schlechten Menschen durch gute Menschen ersetzen – vorzugsweise durch solche, die nachweisen können, noch nie beim Griechen einen Olympia-Teller bestellt zu haben. Dass wir damit das öffentliche und wirtschaftliche Leben in eine Dysfunktion stürzen wie eine überstürzte Zwangskollektivierung spielt keine Rolle, denn ganz abstrakt betrachtet retten wir damit ja die Welt! Aber wir erwarten die Rettung dieser Welt von einem maximal unwahrscheinlichen Regierungshandeln, das, wenn wahrscheinlich, zugleich maximal dysfunktional wäre.

Spätestens an dieser Stelle sollten wir nun innehalten und die Autorin fragen, ob sie eigentlich ernsthaft erwartet, damit ernst genommen zu werden. Denn mit einer Kritik von Karen Duves psychologischen Fehlschlüssen lassen sich auch alle zuvor rezensierten Kapitel des Buches rückabwickeln. Es gab mal eine Zeit, da war es möglich, solche Verhältnisse wie die von Duve beanstandeten mit dem Mittel der Kapitalismuskritik zu analysieren. Insbesondere beim Thema des krisenhaften Finanzsektors hätte sich das angeboten.

Dass Menschen ihre psychopathischen Potentiale nicht darum entfalten, weil sie plötzlich die Macht dazu haben, sondern weil sie sich in einem Regelsystem befinden, dass sie dazu einlädt, es zu tun, dass die Verhaltensanforderungen an eine Machtposition sich nicht aus der Psychologie ihres Inhabers, sondern aus den Regeln des Systems ergeben, von dem diese Position ein Teil ist, das hätte man in einem soziologischen Grundstudium lernen können – oder dann, wenn man wenigstens ein bisschen von der relevanten Literatur studiert hätte.

Ungefähr zur selben Zeit wie Duves Buch ist unter dem Titel »Ganz normale Organisationen« ein Buch von Stefan Kühl zur »Soziologie des Holocaust« erschienen, in dem er aufzeigt, wie nicht charakterliche (oder nationalkulturelle, »völkerpsychologische«) Merkmale ganz normale Menschen zu Mittätern in einer Tötungsindustrie machen, sondern der Charakter der Organisation, der sie angehören, weil sie den einzelnen Tätern einen rationalisierenden, legitimierenden und motivierenden Kontext bieten, in dem der Schritt vom normalen Mensch zum Massenmörder am Ende ein unmerklicher ist.

Analoges gilt für Duves Geschichtsbild: »Unterdrückung« und ihre Abwesenheit ist die einzige Kategorie, die sie zu veranschlagen weiß, und diese Kategorie leitet sie aus der Psychologie des Dominanzverhaltens ab – sie gelangt nicht mal zu der Frage nach den historischen Bedingungen von Produktivkraftentfaltung, geschweige denn zur Frage danach, welche funktionalen Leistungen denn die historische Stabilität von »unterdrückerischen« Herrschaftsformen gewährleistet haben. Der Römische Friede und das Römische Recht sind eben nichts weiter als »patriarchaler Rotz«!

Karen Duves in Psychologisierungen und Moralisierungen ersaufendes Buch markiert auf diese Weise einen Bankrott der analytischen Gesellschaftskritik. Unter der schieren Masse an moralischem Anspruch kollabieren Analytik und Argumentation des Buchs – ganz ohne das CERN und den Large Hadron Collider – zu einem Schwarzen Loch der Gedankenlosigkeit. Und im Zentrum dieses Schwarzen Lochs befindet sich eine auf das Niveau von Rassenlehre geschrumpfte Erklärung für alle Übel dieser Welt: die Biologie des Mannes.

Karen Duve (2014), Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um unsere Zukunft bringen. Berlin: Galiani