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20. November 2019

Am vergangenen Montag Abend habe ich wieder eine Vortragsveranstaltung besucht – Daniele Ganser war mit einem Vortrag zum Thema »US-Imperialismus« im Karlsruher Konzerthaus zugegen. Karten für die Veranstaltung hatten wir schon Monate im Voraus besorgt, sodass wir zentral in der zweiten Reihe saßen (die erste Reihe war für alle möglichen VIPs reserviert). Im folgenden schildere ich meine Eindrücke von Person und Vortrag, und gehe auch noch kurz auf die Handzettelverteiler vor dem Konzerthaus ein: wie auch schon beim Genderkongress in Nürnberg gab es auch hier Leute – eindeutig unter der Flagge der Antifa – die der Meinung waren, dass man diese Veranstaltung doch eigentlich besser nicht besuchen sollte.

Anders als beim Genderkongress gab es jedoch keine Protestdemonstration, sondern es blieb bei höchstens einem halben Dutzend Leuten, die das unten dokumentierte kleine Flugblatt verteilten. Die Karten hatte meine Lebensgefährtin besorgt, mir wäre der Vortragstermin womöglich entgangen. Ich kannte Gansers Gladio-Buch und Online-Auftritte zum Thema 9/11. Ich finde es aber hilfreich, wenn man sich von einer »umstrittenen« Person wie ihm einen persönlichen Eindruck verschafft.

Darauf mussten wir aber nach Veranstaltungsbeginn noch eine halbe Stunde warten, denn es gab ein »Vorprogramm«, in dem die alternative Medienplattform Free21 und das Softwareprojekt Democracy App vorgestellt wurden. Die Medienplattform ist natürlich, wie es so schön heißt, »umstritten« und hat es auch schon zu einem Artikel bei einer anderen »umstrittenen« Webseite, nämlich Psiram gebracht (dem früheren EsoWatch). Democracy App wiederum macht Bundestagsentscheidungen anhand ihrer öffentlich verfügbaren Dokumente zugänglich und ermöglicht virtuelle Abstimmungen, die in Abweichung vom Stimmverhalten der gewählten Parlamentarier das Meinungsbild der Bevölkerung abbilden soll.

Der Vortrag

Gegen 20:00 begann Gansers Vortrag. Ich hatte aufgrund des Titels zunächst befürchtet, womöglich nur allgemein gehaltene Vorwürfe an die pauschale Adresse eines »US-Imperialismus« zu hören zu bekommen. Er lieferte dann aber ein konkretes Beispiel, nämlich eine detaillierte Analyse der Ereignisse, die im Jahre 2011 in Libyen mit dem Sturz und dem Tod Gaddafis endeten. Meines Erachtens konnte er klar belegen, dass der vermeintlich spontane Aufstand gegen Gaddafi eine hauptsächlich von den USA und Großbritannien systematisch vorbereitete Regime-Change-Operation gewesen ist. Nicht, dass ich nicht ohnehin längst dieser Ansicht gewesen wäre. Es war aber beeindruckend, wie Ganser diesen Zusammenhang anhand im Prinzip öffentlich zugänglicher Nachrichten rekonstruierte, etwa über den Zeitpunkt des Einsatzes amerikanischer und britischer Spezialeinheiten deutlich vor dem eigentlichen Konfliktbeginn – Nachrichten, die man als »normaler Bürger« entweder gar nicht wahrnimmt, weil sie in Zeitungen stehen, die man halt nicht liest (ich lese weder den britischen »Mirror« noch den »Guardian«), oder die man nicht in einen Zusammenhang zu stellen vermag, weshalb man ihre Bedeutung unterschätzt.

Ganser_Pult

Und hier entfaltete Gansers Vortrag eine weitere Qualität: er vermochte es, nicht nur die Vorgänge selbst plausibel darzustellen, sondern auch die tendenziöse Art und Weise zu demonstrieren, in der sie in den meisten Medien dargestellt wurden. In kritischer Perspektive sauber recherchierte, sachlich begründete Zusammenhänge herzustellen, ist eigentlich eine Aufgabe des Journalismus. Und hier ergänzte Ganser seine Kritik einer völkerrechtswidrigen Außenpolitik führender NATO-Staaten überzeugend um eine Kritik der Medien und des Journalismus. Nicht, dass ich nicht ohnehin schon dieser Ansicht gewesen wäre. Aber es hat mich beeindruckt, wie klar und präzise der Vortragende (nein, das ist kein Gender-Sprech: »vortragend« ist, wer im betreffenden Zeitraum gerade einen Vortrag hält) das in ruhiger, ausgeglichener Tonlage dargestellt hat. Folgerichtig stellte er anschließend auch dar, wie sich dasselbe Muster in der Ukraine-Krise und im syrischen Bürgerkrieg wiederholt hat. Nicht, dass ich nicht ohnehin schon … jedenfalls weiß ich jetzt, dass es sich sehr gut anfühlen kann, die eigene Meinung live und öffentlich bestätigt zu bekommen.

Sein Leitgedanke war das Gewaltverbot der Vereinten Nationen, auf das er den ganzen Vortrag hindurch immer wieder hinwies, um es mit der Tatsache seiner regelmäßigen Verletzung zu kontrastieren.

Zum Ende der Veranstaltung hat Ganser dann noch ein paar psychologische Ratschläge gegeben, wie man vermeiden könne, sich durch allzu viele negative Nachrichten in Depressionen oder Überreiztheiten ziehen zu lassen: immer wieder mal Urlaub vom Smartphone bzw. Internet machen, zur Entspannung in die Natur gehen, und eine innere Achtsamkeit entwickeln, in der man lernt, sich zum Beobachter der eigenen Emotionen und Gedankenströme zu machen, ohne diese festhalten zu wollen: »Glauben Sie nicht alles, was Sie denken!« Auch das war praktisch identisch mit einer Einstellung, die ich selber pflege, sodass ich von diesem Abend einen nahezu rundum positiven Eindruck davongetragen habe.

Keine Kritik?

Doch. Einen grundsätzlichen Einwand kann ich Ganser nicht ersparen. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, wie sehr unsere Wahrnehmung eines politischen Akteurs davon abhängt, ob wir ihn als »Terroristen« oder als »Freiheitskämpfer« einschätzen – und natürlich wird von solchen Zuschreibungen regelmäßig taktischer Gebrauch gemacht, des einen Terroristen ist des anderen Freiheitskämpfer, ob nun in Palästina, Vietnam, Kambodscha, Kuba, Nicaragua, Afghanistan, im Kosovo oder eben in Libyen, der Ukraine oder Syrien. Von solchen Einschätzungen hängt aber auch unsere Bewertung der eingesetzten Gewalt ab. Ganser selbst hat plausibel argumentiert, dass es eine nicht immer, aber regelmäßig geübte Taktik ist, die Gewalt, zu deren Bekämpfung man sich ein politisches oder auch nur moralisches Mandat erteilen lässt, allererst provoziert zu haben, wie das beispielsweise 2014 bei den Scharfschützen auf dem Maidan der Fall gewesen ist. Was initiative und was reaktive Gewalt ist, kann sich bei näherem Hinsehen genau andersherum darstellen als zunächst angenommen. Das gilt aber stets in beide Richtungen. Wir können »imperialistische Propaganda« nicht einfach in ihr Spiegelbild verkehren, in dem wir dem staatlichen Akteur schon a priori jede Glaubwürdigkeit absprechen. So bin ich beispielsweise nicht der Ansicht, dass es sich beim Kosovo-Krieg nach der Erfahrung des Massakers von Srebrenica um nichts weiter als einen »imperialistischen Angriffskrieg« gehandelt hat. Mit geht es aber nicht so sehr darum, diese Frage jetzt hier auszudiskutieren, als darum, darauf hinzuweisen, dass eine Stellungnahme zu Gewalt immer eine, und sei es nur implizite, Güterabwägung bzw. Abwägung der Umstände darstellt.

Im Falle der Ukraine, Libyens und Syriens beispielsweise verteidigt Ganser selbst zumindest einen Teil der staatlichen bzw. Polizeigewalt als reaktive Gewalt gegen die initiative Gewalt von (fremdgesteuerten) Insurgenten. Anders formuliert: im Kontext von Gewaltdynamiken gibt es keine unschuldigen Stellungnahmen, zumal man sich nicht nur durch Handeln, sondern auch durch Unterlassen schuldig machen kann. Ich hätte mir nicht nur gewünscht, sondern erwartet, dass Ganser das ausdrücklich anspricht. Denn er stellt sich und sein Publikum ausdrücklich in den Kontext einer (»der«) Friedensbewegung, die schon immer zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik hin und her changiert hat. So geht meinem Eindruck nach am Ende ein kleines bisschen zu viel von der ethischen Ambivalenz, gleichsam der Grauzone des Themas, verloren.

Die Handzettelverteiler

Draußen vor dem Konzerthaus tatsächlich Leute vorzufinden, die mit Infozetteln gegen den Auftritt Gansers protestieren, hat mich überrascht. Dass Vertreter von Staat und Journalismus, deren schlechtes Gewissen Menschen wie Ganser verkörpern, ihn gern mit der Kampfvokabel des »Verschwörungstheoretikers« traktieren, ist meines Erachtens schlicht erwartbar. Was aber eine antifaschistische und antiimperialistische Linke an ihm auszussetzen hat, war mir nicht unmittelbar einsichtig. Aus dem verteilten Flugblättchen ging es dann freilich hervor:

GrauzoneGanserRedux

»Genau diese perfide Taktik, vorgeblich nur Fragen zu stellen und Ungereimtheiten aufzuzeigen, sorgt dafür, dass Ganser ein breites Publikum in verschwörungsideologischen und antisemitischen Kreisen findet. Diese Grauzone zwischen vermeintlicher Wissenschaft und Verschwörungstheorie sorgt dafür, dass Ganser immer wieder Auftritte bei rechten Medien und Veranstaltungen bekommt.«

Kontaktschuld also. Ganser redet mit den »falschen« Leuten. Nur: worin bestanden die »perfide Taktik« und »seine Fehlanalyse der durchaus kritikwürdigen Politik imperialistischer Staaten«? Ganser hat nicht »nur Fragen gestellt«, er hat ziemlich gut begründete Antworten gegeben. Und eine »Fehlanalyse« war das meiner Ansicht nach ebenfalls nicht. Aber so ist das nun mal, wenn man den Inhalt eines Vortrag nicht kennt, weil man ihn erst nicht hören will, und seine Vorwürfe ganz unkonkret vorab auf Vermutungen und Unterstellungen bauen muss. Und ob ich Gansers Analyse für eine »Fehlanalyse« halte, entscheide ich erstens selbst und zweitens, nachdem ich seine Argumente gehört habe, nicht vorab und auf den Zuruf eines kleinen Antifa-Zettelchens hin.

Und überhaupt: was mache ich denn, wenn böse Menschen gute Argumente haben? Dann entsteht etwas, was diese Leute von der Antifa fürchten wie der Teufel das Weihwasser: eine Zone der Ambiguität, eine Grauzone! Darin verwischen die Grenzen zwischen Licht und Dunkelheit, Gut und Böse, Rechts und Links, Faschist und Nicht-Faschist, Recht und Unrecht. Und dies wiederum bedroht jedes Weltbild, das auf einem Fundament der Selbstgerechtigkeit errichtet wurde, denn Selbstgerechtigkeit funktioniert nur mit fraglosen Eindeutigkeiten.

Und darum mögen auch die Leute vom Offenen Antifaschistischen Treffen Karlsruhe keine Mitmenschen, die selbständig denken und urteilen. Denn sie treten offenkundig mit dem Anspruch auf: »Wer Nazi ist, bestimmen wir!« Wenn nun aber andere Menschen hergehen und selber entscheiden, wen sie für »rechts« und für »Nazi« halten, dann bedroht das nicht nur das eindeutige Weltbild dieser Antifaschisten, sondern auch die von ihnen in Anspruch genommene Deutungshoheit. Denn sie wünschen die Bürger autoritativ darüber zu belehren, wer für einen Faschisten zu halten ist.

Das haben sie mit vielen Wikipedia-Autoren und militanten »Rationalisten« wie denen von Psiram gemeinsam: sie sind Vertreter einer Akademikerklasse, die sich viel zu oft nicht nur auf narzisstische Weise in ihre eigene Bildung verliebt haben, sondern auch in das, was Pierre Bourdieu das »autorisierte Sprechen« nennt: die Macht, »die Wahrheit« zu verkünden aufgrund einer Autorität, die eine gesellschaftliche Institution ihnen verliehen hat. Und darum ist ihr eigener inhaltlicher Aufklärungsanspruch, dem sie mal besser und mal schlechter gerecht werden, oft genug und mittlerweile viel zu oft nicht mehr von der bloßen selbstverliebten Arroganz einer Bildungselite unterscheidbar, die einen ungebildeten Pöbel verachtet – gleichsam lauter verhinderte Professoren an digitalen Surrogat-Kathedern, die einen Kulturkampf gegen alles führen, was sie für irrational halten.

Ich räume gerne ein, dass »selber denken« – sapere aude! – ein riskantes Unternehmen ist, denn es führt manche Leute auch dahin, selbst nach reiflicher Erwägung »Iron Sky« für eine ARTE-Dokumentation zu halten – und dennoch ist dieses Prinzip der immer noch gültige und unverzichtbare Kern der modernen Aufklärung. Wir haben nicht das Recht, unter Vormundschaft zu stellen, wen wir mit Argumenten nicht überzeugen können.