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6. November 2019

Am vergangenen langen Wochenende war ich in Begleitung in Nürnberg und habe dort am Samstag den Deutschen Genderkongress besucht. Ich habe nicht nur Lob auszusprechen, sondern auch erhebliche Kritik – aber beginnen wir mit dem Positiven.

(Editiert: Flugblatt der Gegendemo hinzugefügt)

Ich fand die Vorträge ganz überwiegend gut. Die Referenten konnten ihre Inhalte gut vermitteln. Die Veranstalter hatten sich kurzfristig entschieden, auf das beim Kongress von 2017 verwendete Workshopformat zu verzichten, da die Gäste sich hier zwischen den unterschiedlichen Themen entscheiden mussten. Die Konsequenz, dass der Tag dadurch aus einer dichten und intensiven Folge von Vorträgen bestand und umständehalber nicht jeder Referent in der Lage war, seinen Vortrag zu komprimieren, habe ich dabei gern in Kauf genommen. Allerdings scheint es nicht allen Referenten kommuniziert worden zu sein, denn als Gunnar Kunz am späten Nachmittag ein zweites Mal ans Rednerpult trat, stellte er klar, dass er eigentlich mit dem Workshop-Format gerechnet hatte und nun aus einer frontalen Redner-Zuhörer-Situation das beste zu machen versuche. Mir scheint freilich ein praktischer Grund am wahrscheinlichsten: in den Räumlichkeiten von »Bratwurst Röslein« am Nürnberger Rathausplatz wäre eine Aufteilung in unterschiedliche Arbeitsgruppen schlicht nicht möglich gewesen.

Als erster Referent des Tages stellte Gunnar Kunz sein Projekt eines »Schwarzbuch Feminismus« vor, einer umfangreichen chronologischen Quellensammlung zum Feminismus, an dem er seit vier Jahren arbeitet und die nach Möglichkeit im März 2020 erscheinen soll. Bruno Köhler von MANNdat gab einen beeindruckenden Überblick über den Umfang des aktuellen politischen Gender-Budgeting. Johannes Meiners stellte Frauen- und Männer-Emanzipation in einen historischen Zusammenhang. Einen analytisch scharfen und konzisen Beitrag zu den reproduktiven Rechten des Mannes lieferte Elmar Diederichs, und einen evolutionspsychologisch fundierten Vortrag über geschlechtstypisches Lernverhalten steuerte Markus Meier bei. Der im Pressebericht nicht erwähnte Thomas Fügner philosophierte über männliche Identität, wobei dieser Vortrag mir persönlich ein wenig zu sehr auf esoterisch anmutende Begriffe zurückgriff. Aus der und zur Praxis des Umgangs mit häuslicher Gewalt referierte Alexander Brosien. Emotional aufwühlend war der mit zahlreichen Fotos unterfütterte Bericht eines »entsorgten Vaters«, Faisal Ahmadiar, über seine halbjährige Mahnwache vor dem Berliner Kanzleramt, die leider nicht zum Erfolg, dafür je länger je mehr zu allerhand Schikanen führte.

Nahezu allen Vorträgen habe ich mit Gewinn zugehört, und zusätzlich hatte ich mich auf Arne Hoffmann und Bernhard Lassahn gefreut, die ebenfalls mit einem Workshop bzw. Vortrag angekündigt waren. Leider waren beide nicht zugegen, und hier beginnen nun die ärgerlichen Aspekte der Veranstaltung. Die Veranstalter haben das Programm leider so kurzfristig angepasst, dass ich die Änderung gar nicht mehr mitbekommen habe – sodass ich mich bis in den Nachmittag hinein gefragt habe, wo Arne eigentlich bleibt, oder ob ich nur zu doof bin, ihn wiederzuerkennen. Bernhard Lassahn wiederum ist immer noch im Programm aufgeführt, obwohl er ebenfalls nicht da war. Da ich geringfügig verspätet am Veranstaltungsort eintraf, weiß ich nicht, ob die Abwesenden von der Orga entschuldigt worden sind. Inzwischen hat Arne Hoffmann mir per Mail mitgeteilt, dass er von den Veranstaltern auf die Rednerliste gesetzt wurde, obwohl er ihnen bereits »deutlich vorher« seine Absage kommuniziert hatte. Wie das bei Lassahn lief, weiß ich nicht. Damit waren die beiden zentralen Projektionsfiguren für den Hass und die Ablehnung der draußen demonstrierenden Gegner der Veranstaltung gar nicht vor Ort.

Das ist leider noch nicht das Ärgerlichste an der Sache. Denn bei der anschließend veröffentlichten Pressemitteilung zum Kongress komme ich nicht umhin, mich zu fragen, was die Verfasser eigentlich geraucht haben.

Beginnen wir mit den Kleinigkeiten: Die im Text fehlende Unterscheidung zwischen Namen und Web-Adressen wirkt schludrig: »Anschließend erläuterte der Buchautor Gunnar Kunz vom Alternativlosaquarium den www.Genderempathygap.de.« und »Dr. Elmar Diederichs von JungsUndMaedchen.wordpress.com«.

Sodann weiß ich nicht, auf welche Weise die Veranstalter dreihundert Anwesende gezählt haben wollen. Nach mehreren der Vorträge gab es Abstimmungen zum Meinungsbild, die sich insgesamt auf 40 bis höchstens 50 Stimmen summierten – meinem Eindruck nach (ich habe nicht gezählt) können es nicht mehr als deutlich unter hundert Anwesende gewesen sein. Mehr hätten in den Raum auch nicht hineingepasst, dazu gleich noch mehr.

Des weiteren ist die Darstellung der Gegendemonstration in meinen Augen maßlos überdramatisiert. Es gab keine »Linien der Polizei«, sondern zwei Kontrollpunkte mit jeweils zwei Polizeibeamten und einen weiteren vor dem Seiteneingang, die eine direkte Störung der Veranstaltung wie beim letzten Mal effektiv verhindert haben. Ob es tatsächlich zu einem physischem Gerangel mit der Polizei kam, kann ich nicht sagen, da ich die Außenszene nur während einer Unterhaltung im Außenbereich, etwa 15 Minuten lang, beobachtet habe. Meiner Begleitung wurde von einem Teilnehmer berichtet, dass er angerempelt wurde, als er die Gegendemonstration filmen wollte, während ich selbst beobachten konnte, dass eine Demonstrantin keine Hemmungen hatte, unsere kleine Schwatzgruppe mit dem Handy zu fotografieren. Ausgerechnet in diesem Zeitabschnitt konnte ich aber live mithören, wie die Demonstranten ihren Protest mit der Anwesenheit von Arne Hoffmann und Bernhard Lassahn auf dem Kongress begründeten – zwei »Anwesende«, die tatsächlich abwesend, aber wie oben erwähnt bis kurz vor dem 2. November noch angekündigt waren (Hoffmann) oder überhaupt nicht aus dem Programm entfernt wurden (Lassahn).

Eine reißerische Formulierung wie »In ihren ausgezehrten, leeren Gesichtern konnte man ablesen, was monatelange Gehirnwäsche aus ihnen gemacht hat« bewegt sich in meinen Augen auf demselben primitiven Propaganda-Niveau, wie es den Demonstranten vorgeworfen wird.

Und nun komme ich zu dem Punkt, der all dem die Krone aufsetzt: alle auf der Seite der Pressemitteilung eingebetteten Fotos suggerieren, dass die Veranstaltung in der Meistersingerhalle stattgefunden hat und deutlich mehr Besucher hatte, als tatsächlich da waren. Aus einigen der Fotos geht zwar hervor, dass sie zu einem historischen Rückblick gehören, aber abgesehen davon, dass sie meines Erachtens auf eine eigene Seite »Rückblick« gehört hätten, wird nicht kenntlich gemacht, wo der Rückblick auf frühere Jahre in das aktuelle Jahr übergeht. Allenfalls das eine Foto der Projektionsleinwand mit dem Schattenwurf eines Smartphones könnte aktuell sein – dann wohl, weil man ihm nicht ansieht, dass die Leinwand statt in der Meistersingerhalle im »Bratwurst Röslein« stand. (Nichts übrigens gegen die Location als solche – einen Familienbetrieb mit rustikaler Küche ziehe ich einem messetypischen Catering-Service allemal vor, und hätte ich nicht noch ein üppiges Hotelfrühstück im Bauch gehabt, dann hätte ich mich liebend gern wie Kasperl und Seppel an Bratwurst mit Sauerkraut sattgegessen.)

Wäre die Veranstaltung als szene-internes Networking- und Strategietreffen konzipiert gewesen, hätte ich sie angesichts der qualitativ anspruchsvollen Vorträge klar als Erfolg bewertet. Aber der Anspruch des Kongresses war ganz offensichtlich ein anderer. Mit anderen Worten – und hier greife ich jetzt bewusst selbst in die Kiste der Polemik – die Pressemitteilung macht unkenntlich, dass die Veranstaltung von einem messehallefüllenden, gut besuchten Kongress zu einem Hinterzimmertreffen in einer Würstl-Wirtschaft zusammengeschrumpft ist! Das ist nicht nur das Gegenteil von (selbst)kritischer Nachlese, das hat einen Geschmack von Vertuschung! Dazu passt auch, dass per Überschrift und Überdramatisierung das Hauptaugenmerk auf die Gegendemonstration gerichtet wird.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Veranstalter auf diese Weise – so hat es wenigstens den Anschein – der berechtigten und in meinen Augen auch gar nicht ehrenrührigen Frage aus dem Weg gehen wollen, ob sich das Format des Gender-Kongresses als Versuch, die Männerrechtsszene und den gesellschaftlichen Mainstream zusammenzuführen, nicht womöglich erschöpft hat – aus welchen noch ausfindig zu machenden Gründen auch immer!

Zu meiner Motivation, feministische Ideologie zu kritisieren, gehört die Überzeugung, dass vom Feminismus zu lernen bedeutet, zu lernen, sich täglich in die Tasche zu lügen und wie in einer totalitären Kultur eine unaufrichtige und von Verleugnung geprägte Einstellung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit einzuüben. Darum ist es für mich unerträglich, wenn mir jetzt von männerrechtlicher Seite dasselbe zugemutet wird.

Edit: ich dokumentiere nachstehend das Flugblatt der Gegendemonstranten:

FlugblattGK_Vorder
FlugblattGK_Rueck