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23. April 2018

Meine Erwiderung auf Jonas. Möglicherweise nähern wir uns dem Punkt eines agree to disagree, insofern wir nun bei grundsätzlichen Unterschieden in der Begriffsverwendung angekommen sind.

Unsere Kontroverse scheint sich um drei Begriffe zu drehen: außer »Patriarchat« noch um »Kausalität« und »Ableitung« bzw. »hervorgehen«.

»Ich lege überhaupt kein Kausalmodell zugrunde, wie du es hier verstehst. (…) der absolutistische Staat ist eben trotzdem aus der patriarchalen Familie hervorgegangen oder aus ihr heraus entstanden oder aus ihr abgeleitet. Nicht im Sinne kausal aus etwas entstanden, sondern ganz einfach nur „materiell“ aus etwas entstanden.«

Die Unterscheidung zwischen »kausal entstanden« und »materiell entstanden« ergibt für mich keinen Sinn. Kausalität ist ein Grundbegriff der Erkenntnis und in seiner Gültigkeit nur dort eingeschränkt, wo (und wenn) man teleologische Prozesse akzeptiert. Es ist im sozialwissenschaftlichen und historischen Bereich zweifellos eine anspruchsvolle und oft aus Mangel an Daten nicht zu leistende Aufgabe, plausible Kausalitäten anzugeben (m. E. könnten Computersimulationen hier weiterhelfen), aber man kommt nicht umhin, sie bestmöglich zu approximieren. Mir ist insofern schlicht unverständlich, was Du mit »materiell entstanden« meinst. Dementsprechend meine ich auch, dass sich ein Begriff von »Hervorgehen« oder »Ableiten« zumindest im Prinzip als Kausalzusammenhang modellieren lassen muss, auch wenn das historisch-empirisch nicht immer leicht fällt. Man kann zwar eine philosophische Grundsatzdebatte darüber führen, ob der Begriff der Kausalität nicht den Naturwissenschaften vorbehalten bleiben sollte, aber Soziologie und Historik kommen m. E. aus arbeitspraktischen Gründen nicht umhin, die Ebenen von (erneut Webers Terminologie) »deutendem Verstehen« und »ursächlichem Erklären« miteinander zu verbinden.

»sprich: der Patriarchalismus der Familie und der Gesellschaft hat sich hier an neue Gegebenheiten angepasst und blieb dadurch erhalten.«

»Erhaltung durch Anpassung« kann ich im Prinzip nachvollziehen. Soweit ich sehe, hat sich die frühmoderne Familie durch das Entstehen des Absolutismus auch nicht verändert, insofern kann ich der These einer Erhaltung eines »Patriarchalismus der Familie« (mit wieviel »Patriarchatsanteil« auch immer) für diese Epoche zustimmen. Du verklammerst aber erneut »Familie« und »Gesellschaft«, und dem wiederum kann ich nicht zustimmen: auch wenn die Ideologie des Absolutismus sich auf patriarchale Autoritäten beruft, entstehen auf gesellschaftlicher Ebene zugleich die Grundlagen des modernen Verwaltungsstaates, der auf der Geltung formeller, »legal gesatzter« Regeln beruht und der daher den Wegfall der patriarchalen Legitimation überleben wird. Der »Patriarchalismus der Gesellschaft« erodiert meines Erachtens in dieser Epoche, wesentlich auch darum, weil sich der rationale Verwaltungsstaat über die patriarchalen Ansprüche der sich bekriegenden Konfessionen und damit das Prinzip der gesatzten Regel über das Prinzip der patriarchalen Autorität stellt. Es ist ja gerade nicht die Erhaltung einer patriarchalen Ideologie der Zweck des Absolutismus, sondern die Legitimation des Absolutismus der Zweck dieser patriarchalen Ideologie.

Wenn Du nun freilich das Ende des Patriarchalismus erst dort sehen willst, wo die letzte homöopathische Dosis »Patriarchat« aus Familie und Gesellschaft verschwunden ist, dann halte ich das nicht für schlechterdings illegitim. Ich halte es bloß für einigermaßen missverständlich in einer Zeit, in der grobschlächtige feministische Kontinuitätsthesen zu einer intellektuellen Landplage geworden sind. Und auch wenn es von Dir nicht so gemeint sein dürfte, lässt sich jene feministische Prioritätenverzerrung damit assoziieren, derzufolge erst noch die geringsten Benachteiligungen für Frauen zu beseitigen wären, ehe massive Benachteiligungen für Männer thematisiert werden dürfen.

»weil es bis in die 70er Jahre hinein keine Gleichberechtigung von Mann und Frau gab und die Familie bis dahin noch halbwegs patriarchal organisiert war und daher Frauen nicht wirtschaftlich aufsteigen konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Deswegen redete ich ja auch von der „Industriegesellschaft vor der ‚Emanzipation‘“. Ich glaube, du musst ein bisschen aufmerksamer lesen, was ich schreibe.«

Ich mache jetzt nicht noch ein sozialgeschichtliches Faß auf, sondern vermerke nur, dass ich diese Emanzipation deutlich früher ansetzen würde als in den 1970er Jahren, als von den früheren Hindernissen nur noch leere juristische Hülsen übrig waren. Die Neue Frauenbewegung ist m. E. nicht so sehr aus realer Unterdrückung entstanden als vielmehr aus der Zurückweisung eines nur mehr ideologischen Rollbacks in der Nachkriegszeit, der noch einmal konventionelle bürgerliche Rollenmodelle zu einem Zeitpunkt propagiert hat, als die reale Emanzipation schon längst darüber hinaus war.

»Überspitzt formuliert: Gäbe es keine feministische Umerziehung im weitesten Sinne, keine massenhafte Väterentsorgung und Männerabwertung und keine staatliche und kapitalistische Unterwerfung des Mannes, wäre diese Gesellschaft bald wieder de facto patriarchal, wenn auch nicht de jure. Ähnlich wie auch viele außereuropäische Gesellschaften bis heute de facto (und weniger de jure) patriarchal sind.«

Das ist ein wesentlicher, wenn nicht der zentrale Punkt, an dem unsere Ansichten sich unterscheiden: Du hältst den Begriff des Patriarchats für eine sinnvolle Bezeichnung auch einer präferenzgesteuerten asymmetrischen Arbeitsteilung, ich meinesteils möchte eben diese präferenzgesteuerte asymmetrische Arbeitsteilung explizit von einem Begriff des Patriarchats abgrenzen:

(a) In meinen Augen macht es keinen Sinn, einer präferenzgesteuerten Asymmetrie die Bedeutungskomponente von »Herrschaft« beizulegen, die im Patriarchatsbegriff unweigerlich inbegriffen ist. Für Dich scheint es keinen Widerspruch darzustellen, einen »Herrschaft« bezeichnenden Begriff explizit vom Verdacht freizustellen, »Zwang« zu konnotieren (»aus dieser Veranlagung … heraus entsteht ja spontan (ohne Zwang) das Patriarchat der Familie«), für mich ist dieser Gedanke widersinnig: spontan, ohne Zwang und präferenzgesteuert ist das Gegenteil von Herrschaft. Wenn ich Dich nicht mißverstehe, versuchst Du, diesen Widerspruch in der Unterscheidung zwischen »de facto« und »de jure« aufzufangen, was für mich aber das Problem nicht löst, weil »Herrschaft« stets Normen voraussetzt und insofern niemals ausschließlich »de facto« besteht. Für mich bleibt das eine unpräzise und zu Missverständnissen einladende Begriffswahl.

(b) Meine Erwartung geht dahin, dass sich eine moderne präferenzgesteuerte Arbeitsteilung in einer wesentlichen Hinsicht von ihrem »urgesellschaftlichen« Vorgänger unterscheidet: durch das Ausmaß des im Verlauf des Zivilisationsprozesses akkumulierten Wissens aka Bildung. Ist die ursprüngliche Arbeitsteilung noch primär durch evolutionspsychologische Dispositionen geprägt, so ist dieser Einfluss heute stark »verwässert« durch den Umstand, dass für einen großen Bereich wissensbasierter Tätigkeiten Geschlechtszugehörigkeit im Durchschnitt keine Rolle mehr spielt, wie man beispielsweise bei Lehrern und Ärzten beobachten kann. Die moderne »spontane« Asymmetrie der Präferenzen wird sich also in meiner Erwartung deutlich schwächer auswirken.

»Das ist in etwa das, was ich meine, wenn ich davon rede, dass die heutige Rollenverteilung in der liberalen Gesellschaft mit dem alten Patriarchalismus „etwas zu tun hat“.«

Ich verstehe, was Du meinst, bin aber aus den vorstehend genannten Gründen anderer Ansicht.