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20. Dezember 2016

Bis an die Grenze der Neuzeit war im germanischen Recht der Zweikampf zwischen Ankläger und Angeklagtem ein legitimes Mittel zur Feststellung der Wahrheit einer Beschuldigung, wenn sie nicht anderweitig zu klären war. Üblicherweise verbindet man damit die Idee eines Zweikampfs zwischen Männern. Dieses Rechtsinstitut galt jedoch allgemein für alle Adligen und Freien und schloss auch Frauen ein, sofern diese keinem Vormund unterstanden, also insbesondere unverheiratete Frauen und Witwen (Megede und Wedewen im Sachsenspiegel).

Jeder Gerichtskämpfer, der es sich leisten konnte, konnte einen Lohnkämpfer bezahlen, der anstelle des Klägers oder Beklagten in die Schranken trat. Das führte dazu, dass es berufsmäßige Lohnkämpfer gab, die damit ihren Lebensunterhalt verdienten und dementsprechend in den Fechtkünsten bewandert waren. Einer dieser Fechtkünstler war der im 15. Jahrhundert lebende Hans Talhoffer, der darum bekannt ist, weil er die Summe seiner Künste als Bilderhandschrift hinterlassen hat, die uns aus dem Jahre 1467 überliefert ist. In dieser Handschrift stellen neun von insgesamt 270 Tafeln den gerichtlichen Zweikampf zwischen Mann und Frau dar.

Abb. 1: Hans Talhoffer

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Bemerkenswert sind insbesondere zwei Dinge: erstens wird der männliche Kämpfer mit einem Handicap versehen, das darin besteht, dass er aus einer hüfttiefen Grube heraus kämpfen muss, die er nicht verlassen darf, wodurch die Frau die Möglichkeit erhält, sich nach einem Angriff in eine sichere Distanz zurückzuziehen. Zweitens ist die Waffe der Frau ein in ein Tuch (»Schleier«) gewickelter Stein, also eine für das Mittelalter eher untypische Waffe, während der Mann einen gewöhnlichen Streitkolben führt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es Frauen untersagt war, (männliche) Waffen zu führen, es sich also um eine improvisierte Waffe handelt. Hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften und der Handhabung ähnelt diese der Frau zugewiesene Waffe jedoch dem Kriegsflegel.

Die Handschrift belegt, wie ich finde, eindrucksvoll, dass zumindest in den Rechtsordnungen germanischen Ursprungs eine bedingte juristische Parität von Männern und Frauen gegeben war, die in den Regularien für den gerichtlichen Zweikampf eine asymmetrische Chancengleichheit herzustellen suchte.

Im Folgenden gebe ich ohne weitere Kommentare die bei Wikisource verfügbaren Abbildungen wieder, die ich um die deutsche Übersetzung der frühneuhochdeutschen Texte von Dierk Hagedorn ergänzt habe.


Abb. 2: Tafel 242, Folio 122v

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Mitte oben: »Hier steht, wie Mann und Frau miteinander kämpfen sollen. Hier stehen sie, bereit zu beginnen«

Links: »Hier steht die Frau frei und will schlagen. Sie hat einen Stein im Schleier, der vier oder fünf Pfund wiegt.«

Rechts: »So steht er bis an die Leiste in der Grube. Der Kolben ist genauso lang wie der Schleier in ihrer Hand.«


Abb. 3: Tafel 243, Folio 123r

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Links: »Hier hat sie einen Schlag vollbracht.«

Rechts: »Nun hat er den Schlag versetzt und gefangen. Er will sie zu sich ziehen und bedrängen.«


Abb. 4: Tafel 244, Folio 123v

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»Hier hat er sie zu sich gezogen und nach unten geworfen; er will sie würgen.«


Abb. 5: Tafel 245, Folio 124r

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»Hier hat sie sich von ihm losgerissen und ist im Begriff, ihn zu würgen.«


Abb. 6: Tafel 246, Folio 124v

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»Hier hat sie ihn auf den Rücken gebracht, will ihn würgen und aus der Grube ziehen.«


Abb. 7: Tafel 247, Folio 125r

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»Hier hat er sie zu sich gerissen und wirft sie in die Grube.«


Abb. 8: Tafel 248, Folio 125v

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»Während sie ihn schlagen will, ist sie ihm zu nahe gekommen, so dass er sie am Bein ergreift und sie umwerfen wird.«


Abb. 9: Tafel 249, Folio 126r

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Links: »So schlägt er ihr vor die Brust.«

Rechts: »Hier hat sie ihm den Schleier um den Hals geschlagen und will ihn würgen.«


Abb. 10: Tafel 250, Folio 126v

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»Hier hat sie ihn am Hals und an seiner Kleidung gefasst und will ihn aus der Grube ziehen.«

Literatur:

  • Talhoffers Fechtbuch aus dem Jahre 1467. Gerichtliche und andere Zweikämpfe darstellend. Mit einer Einleitung von Gustav Hergesell. Neu transkribiert, übersetzt und mit einer Einführung versehen von Dierk Hagedorn. 1998, 6. überarbeitete und erweiterte Auflage 2016. Herne: VS-BOOKS
  • Rummel, Mariella (1987), Die rechtliche Stellung der Frau im Sachsenspiegel-Landrecht. Frankfurt a. M. – Bern – New York – Paris: Peter Lang