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5. Januar 2018

Nachdem ich zuletzt einen Aufsatz von Rebecca Solnit aus den »Blättern für deutsche und internationale Politik« (»die größte politisch-wissenschaftliche Monatszeitschrift im deutschen Sprachraum«) kritisiert hatte, hatte crumar mich darauf hingewiesen, dass dieselbe, hust!, Fachzeitschrift auch einen Artikel von Laurie Penny publiziert hat. Der Artikel heißt »Feminismus: Die Befreiung der Männer« und beruht auf dem Kapitel »Verlorene Jungs« in Pennys Buch »Unsagbare Dinge«. Spoiler vorneweg: der Aufsatz ist so unterirdisch wie befürchtet. Warum also, so kann man fragen, noch einmal der Aufwand einer ausführlichen Auseinandersetzung? Mein Hauptgrund lautet: Eigenbedarf. Ich rücke in meiner Kritik den Begriff des Patriarchats ins Zentrum, und da muss ich natürlich auch ein Relevanzargument liefern. Und! Überraschung!(Nicht) Der Begriff spielt im Aufsatz eine tragende Rolle. Ich bin zwar der Meinung, dass sich die um diesen Begriff herum entstandenen ideologischen Denkfiguren auch ohne den Begriff selbst nachweisen lassen, aber kann mir Steilvorlagen von reichweitenstarken Autorinnen wie Solnit und Penny kaum entgehen lassen – hier bekomme ich das Relevanzargument sozusagen vom befrackten Domestiken auf dem Silbertablett serviert, mit Schleifchen dran und Zucker obendrauf. Nur das persönliche Grußkärtchen fehlt, dafür muss ich leider erst berühmt werden. In der Summe werde ich der verehrten Leserschaft daher im Folgenden nichts wirklich neues erzählen. Interessant könnte allerdings sein, wie Pennys Text funktioniert und auf welche Weise sie ihre Botschaft ins Ziel zu bringen versucht. Außerdem ist dies meine erste Auseinandersetzung mit Laurie. Zu ihr wurde also möglicherweise bereits alles Nötige gesagt – nur eben noch nicht von mir! 🙂

Beginnen wir mit dem Beginn, also am Anfang:

»Dass der Feminismus wichtig ist und noch viel zu tun hat, ist keine Minderheitenmeinung mehr. Nach Jahrzehnten des zaghaften Sichfügens erheben Frauen, Mädchen und ihre Verbündeten in aller Welt wieder die Stimme, um einen besseren Deal einzufordern, nicht nur nach dem Gesetz, sondern in der Praxis. Doch die Art Feminismus, die seit Jahren in den Medien eine Rolle spielt und die Schlagzeilen beherrscht, nützt in erster Linie den heterosexuellen, gut verdienenden weißen Frauen der Mittelschicht und der oberen Mittelschicht. Es hieß, die Geschlechterbefreiung würde wie der Wohlstand nach unten ›durchsickern‹. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Feminismus sickert nicht nach unten durch, und während sich eine kleine Zahl extrem privilegierter Frauen Gedanken über die gläserne Decke macht, füllt sich der Keller mit Wasser, und Millionen von Frauen und Mädchen sind samt ihren Kindern da unten eingesperrt und starren nach oben, während ihnen das Wasser in die Schuhe läuft, um die Knie schwappt und langsam zum Hals steigt. Kurzum: Man hat uns angelogen.«

Der Aufsatz beginnt mit einem Allgemeinplatz. Wie man misst und empirisch feststellt, wann etwas eine »Minderheitenmeinung« ist und wann nicht (mehr), wird nicht thematisiert. Auch der historische Rückblick ist keiner: welches die »Jahrzehnte des zaghaften Sichfügens« gewesen sind, unter welchen historischen Umständen sie begonnen haben und wieder zu Ende gegangen sind, wird nicht thematisiert. Ein Beispiel für ein »zaghaftes Sichfügen«, an dem man ungefähr ermessen könnte, was »zaghaft« ist und worin das »Sichfügen« der »Frauen, Mädchen und ihre Verbündeten in aller Welt« denn bestanden hat, wird nicht genannt. Rückschläge im Abtreibungsrecht? Dramatische Budgetkürzungen für die Genderforschung? Eine ganze Alterskohorte junger Frauen, die mit der Einberufung zum Kriegsdienst im Nahen Osten rechnen muss? Ein Aufsatz in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift würde zumindest kurz ein paar Zahlen und/oder Schlüsselepisoden nennen, aus denen ersichtlich wird, wovon konkret die Rede ist, anstatt nur das Wohlgefühl zu evozieren, dass man sich als Feministin »jetzt« mehr engagiert als »früher«. Ach so? Wir sind in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift? Prima, dann wird es in den folgenden Abschnitten bestimmt besser, und ich bin bloß ein gehässiger, ungnädiger Masku-Shitlord, immerhin hat sie sich doch kritisch über die Vorstellung einer »gläsernen Decke« geäußert!

Und ich bin wohl nicht nur ein Masku-Shitlord, sondern auch ein Grammatiknazi, denn was soll es besagen, dass »Millionen von Frauen und Mädchen samt ihren Kindern« in einem Keller eingesperrt sind? Sind die »Mädchen« nicht bereits »Kinder« dieser Frauen? Was bleibt da in der Kategorie »Kind« noch übrig? Womöglich sind die Jungs da »mitgemeint«, aber nur solange, wie sie primär als Kinder durchgehen und noch keine eigenständige Männlichkeit aufweisen? Garstiger, gehässiger Masku-Shitlord und Grammatiknazi! Sei doch nicht so sprachenstreng wie eine Genderkommissarin, lies’ doch erst mal weiter!

»Das aber ist nur die eine Seite der Medaille. Denn auch Männer wurden angelogen. Ihnen wurde vorgegaukelt, sie lebten in einer schönen neuen Welt der wirtschaftlichen und sexuellen Chancen, und wenn sie zornig oder eingeschüchtert seien, wenn sie sich von den widersprüchlichen Erwartungen eingeengt oder verunsichert fühlten, wenn sie unter dem Druck litten, sich maskulin zu geben, Geld zu machen, dominant zu sein, viele schöne Frauen zu vögeln und gleichzeitig ein anständiger Mensch zu bleiben, dann seien an ihrer Not Frauen und Minderheiten schuld.«

Dieser Satz klingt erstmal gar nicht schlecht, sympathisch geradezu, denn dass Männer unter Druck stehen und dass ihnen falsche Versprechungen gemacht werden, würde wahrscheinlich kein Männerrechtler bestreiten wollen. Aber unter welchem Druck genau Männer denn stehen und welche falschen Versprechungen im Einzelnen das waren, darüber reden wir doch sicher noch mal, nicht wahr, Frau Penny?

»Um die Prinzipien von Gender, Macht und Begehren zu begreifen, müssen wir auch über Männer reden. Ziel des Feminismus ist ja nicht nur, dass sich Frauen von Männern emanzipieren, sondern dass sich alle Menschen aus der Zwangsjacke geschlechtsspezifischer Unterdrückung befreien. Männer und Jungen beginnen erst jetzt kollektiv zu begreifen, wie furchtbar vermurkst Männlichkeit heute ist – und sie fragen, wie sie das ändern können.«

Ups. Ich hatte jetzt für einen ganz kurzen Augenblick gedacht, Laurie würde vielleicht den bürgerlichen Klassencharakter einer bestimmten Art von Feminismus kritisieren wollen, weiter oben, als sie die Formulierung »Frauen der Mittelschicht« verwendet hat, ohne sich gleich darauf den Mund mit Seifenlauge auszuspülen. Dummer, garstiger Masku! Männlichkeit – vermurkst sie ist fürchterlich!

»Helft uns, Laurie, Ihr seid unsere letzte Hoffnung!«

Der nächste Absatz vom Aufsatz ist überschriftet mit »Dem Patriarchat einen Namen geben«. Das habe ich schon mal gehört. »Einen Namen geben« ist ein magischer Vorgang. Den wahren Namen eines Wesens zu kennen heißt, es zu kontrollieren, es bannen zu können, wie beim Rumpelstilzchen. Wenn wir »dem Patriarchat« einen Namen geben (also zum Beispiel: »Patriarchat!«), dann stampft es sich bestimmt selbst von ganz alleine unangespitzt mit dem Fuß in den Boden und ist weg! Penny erklärt uns nun, dass »Patriarchat« nicht »Männerherrschaft« bedeutet, sondern »Väterherrschaft«, »die Herrschaft weniger mächtiger Haushaltsvorstände über den Rest der Gesellschaft.« Aha: »Haushaltsvorstände«. Klar, das kenne ich von Max Weber:

»Patriarchalismus heißt der Zustand, daß innerhalb eines, meist, primär ökonomischen und familialen (Haus-)Verbandes ein (normalerweise) nach fester Erbregel bestimmter Einzelner die Herrschaft ausübt. Entscheidend ist dabei: daß diese Herrschaft zwar traditionales Eigenrecht des Herren sei, aber material als präeminentes Genossenrecht, daher in ihrem, der Genossen, Interesse ausgeübt werden müsse, ihm also nicht frei appropriiert sei. Das, bei diesen Typen, völlige Fehlen eines rein persönlichen (›patrimonialen‹) Verwaltungsstabs des Herren ist dafür bestimmend. Der Herr ist daher von dem Gehorchenwollen der Genossen noch weitgehend abhängig, da er keinen ›Stab‹ hat. Die Genossen sind daher noch ›Genossen‹, und noch nicht: ›Untertanen‹.«

Max Weber 2014, S. 165

Ja, ich sehe ein, dass das jetzt ein bißchen kompliziert ist, weil es ist gar nicht richtig klar, was das mit Pennys Patriarchatsbegriff zu tun hat, und ob jetzt eher Weber was mißverstanden hat, so als toter heterosexueller, weißer Mann, der er ist, oder doch Laurie Penny, aber das können wir jetzt hier nicht diskutieren, Penny schreibt ja nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift! … ähem! Hust, HUST! Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen, seien Sie kein Gaffer, dies war kein Max-Weber-Zitat, Gerhard Schröder hat die Wahl nicht verloren und das Huhn hat nicht die Straße überquert! (Und wir sind erst am Anfang des Artikels, wo ist eigentlich mein Blitzdings?!)

Weiter im Text. Ein bißchen erläutert Penny ja schon noch, was das Patriarchat denn eigentlich so ist:

»Es ist ein hierarchisches System männlicher Vorherrschaft, die mit Gewalt oder Gewaltandrohung durchgesetzt wird … und es ist eng verwoben mit dem Wirtschafts- und Klassensystem des Kapitalismus.«

Hm, und auf welche Weise tut es das? Könnte Penny das nicht ein bißchen erläutern? Wohl nicht, schließlich schreibt sie ja nicht in … HUST! (Wo.Ist.Mein verdammtes Blitzdings??) Ähem! Aber zumindest meinen Feministinnen es ernst und ehrlich, wenn sie sagen, dass das Patriarchat auch Männern schadet, da sind sie voller Verständnis:

»Die meisten Männer haben nicht viel Macht, und das bisschen soziale und sexuelle Überlegenheit, das sie über die Frauen haben, wird heute infrage gestellt. Das muss wehtun. Wer vom Patriarchat profitiert, ist kein schlechter Mensch, auch wenn er auf die Art wohl kaum ein besserer Mensch wird. Wie immer, wenn jemand eine Machtposition über andere innehat, besteht die Charakterprüfung darin, was er mit dieser Erkenntnis anfängt. (…) Wenn ich mich mit Männern über Gender und Gewalt unterhalte, ist das Wort ›Patriarchat‹ für sie besonders schwer zu ertragen.«

Liebe Laurie! Ich verstehe, dass es Dich traurig macht, wenn Männer das Wort »Patriarchat« nur schwer ertragen. Hast Du mal daran gedacht, dass das vielleicht – aber nur vielleicht! – daran liegen könnte, dass Du mit dem Begriff die Vorstellung verbindest, Männer hätten sich einer »Charakterprüfung« zu stellen – einfach nur, weil sie Männer und damit schon per definitionem, ohne näher auf irgendwelche konkreten, realen Umstände zu schauen, als »Profiteure des Patriarchats« gelten? Aber vielleicht verstehen wir Dein Argument ja besser, wenn Du jetzt tatsächlich darauf eingehst, wie das Patriarchat mit dem Neoliberalismus zusammenhängt:

Geschlechterkrise oder Kapitalismuskrise?

»Da die moderne Ökonomie nur wenige Gewinner hervorbringt, fühlen sich viele Männer unweigerlich als Verlierer – und ein Verlierer ist das Letzte, was ein Mann sein darf. Frauen wollen mit Verlierern nichts zu tun haben. Verlierer sind keine richtigen Männer, keine begehrenswerten, starken Männer, und wenn der Neoliberalismus mehr Verlierer hervorbringt, dann muss das daran liegen, dass Männer nicht genug Wertschätzung erfahren, und wahrscheinlich ist daran der Feminismus schuld und nicht etwa die fehlgeleitete Finanzpolitik. Der Neoliberalismus mag Heerscharen von Menschen zum Scheitern verurteilt haben, aber wir können es hier nicht mit einer Kapitalismuskrise zu tun haben, also muss es eine Geschlechterkrise sein.«

Liebe Laurie, findest Du das nicht ein bißchen kraus argumentiert? Es ist ja gar nicht klar, in welchen Deiner Sätze jetzt Ironie steckt und in welchen nicht! Es ist ja nun nicht so, dass die Behauptung »Frauen wollen mit Verlierern nichts zu tun haben«, nur ein männliches Hirngespinst ist:

»Als die Finanzkrise in den USA begann, schnellten die Scheidungszahlen in Manhattan nach oben. Reihenweise lösten die Frauen ihre Ehen auf. Ihre Männer hatten über Nacht jeglichen Sex-Appeal eingebüßt.«

Elisabeth Raether, Tanja Stelzer in der ZEIT 2, 2014

Man muss für diese armen Frauen ja auch Verständnis haben: nicht nur finden sie ihre Männer nicht mehr sexy – sie müssen sich ja schließlich auch rechtzeitig scheiden lassen, bevor die Finanzkrise auf das Aktenportfolio des Gerade-Noch-Gatten durchschlägt und das Vermögen, anhand dessen sich die Höhe ihres Unterhalts errechnet, so richtig in den Keller rauscht!

Also hier müsstest Du Dich doch eigentlich an die Frauen wenden und sie mal fragen, wieso sie ihren Mann bei der erstbesten Schwierigkeit sogleich sitzen lassen? Aber vielleicht denkst Du ja, dass Frauen sowas gar nicht tun und dass Du deshalb einfach einen guten Witz gemacht hast. Und dann wendest Du Deinen Blick zwar sinnvollerweise dem Neoliberalismus zu – aber was machst Du daraus? »Der Neoliberalismus mag Heerscharen von Menschen zum Scheitern verurteilt haben« – da sind wir uns ja einig! Aber jetzt wirfst Du den Männern vor, sie würden eine Kapitalismuskrise nicht als Kapitalismuskrise verstehen – sondern als Geschlechterkrise, weshalb sie fälschlicherweise dem Feminismus Vorwürfe machen würden. Liebe Penny, jetzt muss ich mich aber bei Dir beschweren: Du hast doch gerade eben, etwa einen Absatz zuvor, die Krise zur Geschlechterkrise erklärt (und Du wirst es gleich im nächsten Abschnitt, den Du mit »Männlichkeit ist Krise« übertitelt hast, noch viel gründlicher tun), denn was ist denn ein »Leiden der Männer am Patriarchat« denn anderes als eine Geschlechterkrise?

Wir Männer kämen nämlich sehr gut damit zurecht, die heutige Krise als eine Krise des Neoliberalismus zu verstehen, wenn uns nicht ihr Feministinnen uns ständig einzureden versuchtet, wir müssten das als eine Geschlechterkrise verstehen. Aber Du sagst uns ja jetzt, warum Männlichkeit praktisch mit Krise identisch ist:

»Wenn die moderne Männlichkeit Männer, insbesondere junge Männer, in einen Zustand ängstlicher Verzweiflung stürzt, wenn sie einsam und isoliert sind, unfähig, ihre wahren Gefühle auszudrücken oder das Leben zu führen, das sie sich wirklich wünschen, und wenn sie dann ihre soziale und sexuelle Frustration an Frauen auslassen, statt zu begreifen, dass sie eine systematische Folge elitärer Ungleichheit ist, dann funktioniert die Männlichkeit sehr gut. Dann ist sie sogar in einem tipptopp Zustand.«

Liebe Laurie, Du hast doch eben erst selbst gesagt, dass es sich um eine Kapitalismuskrise handelt. Wieso nennst Du dann den Umstand, dass viele junge Männer keinen Job finden, eine »Krise der Männlichkeit«? Und glaubst Du, diese Männer fänden leichter einen Job – oder eine Frau – wenn sie bloß lernten, »ihre wahren Gefühle auszudrücken«? Lies doch noch mal bei Raether und Stelzer nach:

»Selbst moderne, emanzipierte Frauen reagieren manchmal verschreckt, wenn ihr Mann wirklich einmal Schwäche zeigt. Therapeuten berichten, dass Frauen erst von ihrem Mann einfordern, Gefühle zu zeigen – und ihn genau dann verlassen, wenn er negative Gefühle, beispielsweise Depressionen, eingesteht. So haben diese Frauen sich das mit der Partnerschaft auf Augenhöhe dann nämlich doch nicht vorgestellt.«

Elisabeth Raether, Tanja Stelzer in der ZEIT 2, 2014

Aber Du scheinst das anders zu sehen. Vor aller Chance zur Läuterung müssen Männer durch das tiefe, dunkle Tal der Selbsterkenntnis:

»Doch es wird wehtun. Für Männer kann es furchtbar bedrückend sein, mit Frauenfeindlichkeit konfrontiert zu werden, zumal mit ihrer eigenen. Zu ihrem Unglück stoßen sie, sobald sie sich mit den Geschlechtern auseinandersetzen, auf eine schreckliche, unerschütterliche Tatsache: das enorme Ausmaß, in dem Männer insgesamt Frauen schon verletzt haben. Deshalb fällt es Männern enorm schwer, über Männlichkeit zu reden, ohne sich damit auseinanderzusetzen, wie furchterregend und aggressiv Männlichkeit in ihrer modernen Form mittlerweile ist. Sie ist erschreckend.«

Liebe Laurie, von den Statistiken zur häuslichen Gewalt hast Du noch nie etwas gehört, oder verbietet Dir Deine Ideologie bloß, das wahrzunehmen? Weißt Du, ich langweile meine Leser gerade ganz schrecklich damit, Dich auf so etwas hinzuweisen, weil die das alle längst wissen, nur zu Dir dringt das nicht durch. Wenn Du das schon alles wüßtest, würde ich ja hier nur »mansplaining« betreiben und müsste mich ganz doll bei Dir entschuldigen. Oder denkst Du, dass es einfach schon reicht, dass Du glaubst, dass Du recht hast, und dass es schon »mansplaining« ist, wenn Du mit Gegenargumenten konfrontiert wirst, obwohl Du überzeugt bist, dass Du recht hast? Zwischen »etwas wissen« und »überzeugt sein, etwas zu wissen« gibt es nämlich einen feinen Unterschied, und nicht in beiden, sondern nur im ersten Fall könnte man sich über »mansplaining« beschweren.

Und Du hast mit solchem Nachdruck darauf hingewiesen, dass wir die gesellschaftliche Krise doch bitte als Krise des Neoliberalismus wahrnehmen sollen, und redest doch nur wieder über Männer, Männer und Männer: in einem weiteren Abschnitt, in dem Du ein bißchen genauer erläuterst, was Du unter »Mitgefühl mit Männern« verstehst. Aufrechte, ehrliche Selbstkritik gibt es nicht umsonst, sondern erfordert die Bereitschaft, Schmerzen zu ertragen und die Zähne zusammenzubeißen, wenn der Chirurg das faulige, nekrotische Glied der toxischen Männlichkeit vom Leibe schneidet:

»Trotz einer mitfühlenden Haltung gegenüber Männern soll der Feminismus nicht etwa deren Gefühle schonen. Ganz im Gegenteil. Wenn wir uns ein erfülltes Leben und eine Gesellschaft wünschen, die Frauen als vollwertige Menschen behandelt, müssen Männer sich und ihre Erfahrungswelt in einem neuen, auch unangenehmen Licht betrachten. Das Mitgefühl, das Männer und Jungs brauchen können, wenn sie der Welt der Gewalt, der Frauenfeindlichkeit und der emotionalen Verstopfung entfliehen wollen, ist nicht das des Priesters, der Sünden vergibt, sondern das des Arztes, der einem leidenden Idioten, der mit einer eiternden Wunde den Arztbesuch zu lange hinausgezögert hat, mit Nachdruck erklärt: Ich fürchte, das wird wehtun.«

Liebe Laurie, das muss eine Obsession von Dir sein, schon wieder die Männer ins Zentrum der Perspektive zu rücken. Aber ich erkenne die permanente Obsession des Feminismus darin wieder, Gesellschaftskritik dadurch zu betreiben, dass man die Kritik von Männern betreibt. Ihr Feministinnen habt ja nichts anderes gelernt. Und ihr werdet selbst eine Menge Mitgefühl brauchen, wenn, oder wohl besser: falls ihr schließlich mal versteht, wie sehr ihr euch in eine ideologische Sackgasse verrannt habt, indem ihr die Psychologie des Mannes, oder besser: das, was ihr für diese Psychologie haltet, zum archimedischen Punkt eurer Gesellschaftskritik erhoben habt. Während ihr selbst euch auf einem überlegenen Standpunkt wähnt, den ihr im Kern für unkritisierbar haltet. Was wir sehr schön an dem folgenden Zitat ablesen können:

»Das große Hindernis für das Fortkommen der Frauen ist nicht der Hass der Männer, sondern ihre Angst. Die ›Männerrechtsaktivisten‹, die sich im Internet organisieren, um Frauen zu übertönen, sind meist angsterfüllte, einsame Wesen, die unbedingt über die Geschlechter reden wollen, dies aber nur tun können, indem sie Frauen mundtot machen.«

Also ich finde, ich habe Dich hier in meinem Masku-Shitlord-Artikel eines ängstlichen, einsamen Wesens recht ausführlich zu Wort kommen lassen und würde das eigentlich gern auch weiter tun – aber, liebe Laurie, dein Artikel geht leider weiter und weiter, ohne dass da noch eine Pointe käme, jedenfalls keine, die von Deinen bisher verbratenen Klischees irgendwie abweichen würde. Daher muß ich mich jetzt schweren Herzens wieder um meine Leser kümmern. Denen gehe ich nämlich mittlerweile mächtig auf den Sack mit meinem geduldigen Bemühen um Dich, und sie scrollen schon ganz hektisch ans Ende der Seite, um zu sehen, ob da bei mir noch eine Pointe kommt.

Tja, liebe Leserinnen und Leser, was soll man dazu sagen? Vielleicht noch ein kleines bißchen analytische Distanz. Ich zitiere dazu mal mich selbst, etwas, das ich eben erst in einem Kommentar formuliert habe: eine solche Perspektive wie die von Penny ist nur dadurch möglich, dass sie – als gute, völlig typische Feministin – die Beziehung der Frau zum Mann mit der Beziehung der Gesellschaft zur Umwelt verwechselt. Aus der Perspektive des Feminismus ist der Mann die Gesellschaft, mit dem ganzen doppelten Irrtum einer zugeschriebenen Allmacht und als alleiniger Adressat für Wunscherfüllungen. Und aus demselben Grund meinen Feministinnen auch, dass wenn sich die Gesellschaft ändern soll, der Mann sich ändern muss. Das ist sozusagen ein »topologischer« Irrtum: die Fixierung der Feministinnen auf den Mann verstellt den Blick auf die Gesellschaft als Ganze, von der sie selbst ja ein Teil sind, während sie sich selbst nur in Opposition, als dem Manne gegenüber, wahrnehmen – weshalb sie auch außerstande sind, ihre eigenen Verstrickungen in faktische Mitverantwortlichkeit wahrzunehmen und sich selbst einen überlegenen, erkenntnistheoretisch privilegierten Standpunkt zuschreiben. Dass und wie sie selbst Teil der Gesellschaft sind, dass und wie sie selbst in sexistischen Stereotypen denken, dass und wie sie selbst moderne Mythologien über die Geschlechter reproduzieren, können sie gar nicht wahrnehmen – weil sie glauben, als Frau – und zwar nicht nur aufgrund des Mythos von der moralischen Überlegenheit der Frau, sondern aufgrund der Wahrnehmung ihrer eigenen Position in Relation zum Mann glauben, den Standpunkt über den Standpunkten eingenommen zu haben.

Auf dieser (theoretisch anspruchsvollen) Ebene müsste eine prominente Feministin wie Penny die Diskussion eigentlich führen – aber sie publiziert ja nicht in einer wissenschaftlichen … bzzzzz … pchchchchch … piiiiitsch … pip pip pip pip … wo zur Hölle ist mein …

Postscriptum:

(Aahh!!! Da ist mein Blitzdings!!)

Bitte alle mal herschauen!

FITZZZZ!!

Ich danke Laurie Penny von ganzem Herzen für ihren wunderbaren Artikel im Geiste des wissenschaftlichen Feminismus, veröffentlicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, der auch uns Männern den Weg eröffnet, an den Errungenschaften des Feminismus teilzuhaben, sofern wir aufgeschlossenen genug sind, um einzusehen, wie fürchterlich vermurkst unsere Männlichkeit ist, und die Chance ergreifen, uns aus der Zwangsjacke geschlechtsspezifischer Unterdrückung zu befreien! Danke! Danke! Danke! Laurie, Freund, Genossin, treu und klug!

(Bild: die Laurie-Penny-Statue in Nizhnij-Pridurakovo an der Unteren Bljachamucha)

Lenin-Statue

Schon wieder keine Agitpropkultur, nur was zum entspannen (bei Bedarf englische Untertitel zuschalten):

Literatur:

  • Penny, Laurie (2015a), Feminismus: Die Befreiung der Männer. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 6, 2015, S. 81-90
  • Penny, Laurie (2015b), Unsagbare Ding. Sex, Lügen und Revolution. Hamburg: Edition Nautilus
  • Max Weber (2014), Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie. Studienausgabe der Max-Weber-Gesamtausgabe, Band I/23. Tübingen: Mohr (Siebeck)