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15. Juli 2018

Ich finde momentan nicht viel Zeit zum Bloggen, möchte aber mit dem folgenden Kurzbeitrag wenigstens symbolisch (und etwas verspätet) Gunnar Kunz’ Initiative zum Gender Empathy Gap Day honorieren. Anlass ist ein Zitat, über das ich kürzlich gestolpert bin, welches in meinen Augen einen solchen »Empathy Gap« auf drastische Weise zum Ausdruck bringt.

Julie Bindel ist eine lesbische Radikalfeministin und Journalistin, die unter anderem regelmäßig für die britische Tageszeitung Guardian und das ebenfalls britische politische Wochenmagazin NewStatesman schreibt. Sie betreibt mit ihrer Lebensgefährtin Harriet Wistrich ein Projekt namens »Justice for Women«, das Frauen unterstützt, die für den Mord an gewalttätigen Partnern vor Gericht stehen. Bindels Radikalität besteht augenscheinlich vor allem in der radikalen Einseitigkeit, mit der sie das Phänomen häuslicher Gewalt wahrnimmt. Sie ist unter anderem berüchtigt für ein Interview mit der radikalfeministischen Plattform »Radfem Collective«, in dem sie unter anderem vorschlägt, Männer in Lagern zu internieren, in dem sie mit männertypischem »Spielzeug« unter sich sein können, aber vom Rest der Welt getrennt leben:

»I mean, I would actually put them all in some kind of camp where they can all drive around in quad bikes, or bicycles, or white vans. I would give them a choice of vehicles to drive around with, give them no porn, they wouldn’t be able to fight – we would have wardens, of course! Women who want to see their sons or male loved ones would be able to go and visit, or take them out like a library book, and then bring them back.«

Nun stellt sich hier natürlich die Frage, wie ernst oder buchstäblich eine solche Aussage gemeint ist oder sein kann – allein schon darum, weil im Falle einer solchen Internierung niemand mehr da wäre, der die typische Arbeit von Männern erledigt. Es ist daher auch nicht dieses Zitat, das ich für so erschreckend halte, sondern eine andere Aussage in demselben Interview (ich hatte es gestern auch bei Alles Evolution gepostet):

»And I am sick of hearing from individual women that their men are all right. Those men have been shored up by the advantages of patriarchy and they are complacent, they are not stopping other men from being shit.«

Genauer gesagt, der erste Satz dieses Zitats:

»And I am sick of hearing from individual women that their men are all right.«

Was hier stattfindet, ist viel mehr als nur die übliche Pflege eines Vorurteils. Einen Satz wie »Alle Männer sind Scheiße« wird man einer Frau wie Julie Bindel ohne weiteres zutrauen und ihn nicht für weiter überraschend halten. Er wäre geradezu eine Bagatelle. Womit Bindel aber nicht zurecht kommt – und zwar in einer Art und Weise, dass sie »die Schnauze voll« davon hat, sind positive Einstellungen anderer Frauen zu ihren Männern. Bindel konstruiert hier »Männer« als ein imaginäres Kollektiv, dass – #yesallmen – tatsächlich alle Männer, mithin jeden einzelnen Mann enthält, und wirft ihm vor an einer patriarchalen Komplizenschaft teilzuhaben. Und anders als in obigem Zitat zu den »Lagern« meint sie diese Aussage offenkundig so buchstäblich ernst, dass sie andere Frauen dafür verachtet, ihre, Julie Bindels, Männerverachtung nicht zu teilen. Die Konstruktion des Vorurteils ist so total, dass abweichende Wahrnehmungen nicht nur unbewusst, sondern in einem bewussten, aktiven Vorgang als mögliche Korrekturen zurückgewiesen werden, und dies zudem in einem öffentlichen Statement, für das man öffentlich zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Für diese Art einer politischen Feindbestimmung gibt es einen prominenten Präzedenzfall:

»Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude.«

Der Satz stammt von niemand anderem als Heinrich Himmler, und er stammt aus keinem anderen Text als der ersten seiner zwei berüchtigten Posener Reden, in der er im Oktober 1943 vor einem Kreis höherer SS-Offiziere unter anderem offen über die Massenvernichtung an den europäischen Juden spricht. (Text der ersten Rede)

Das Zitat lautet im Zusammenhang:

»Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ›Das jüdische Volk wird ausgerottet‹, sagt ein jeder Parteigenosse, ›ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.‹ Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte, denn wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten.«

Bindels Analogisierbarkeit mit Himmler ist in diesem Zusammenhang tatsächlich systematisch: sie deklariert »Empathie mit Männern« als eine nicht wünschenswerte, verzichtbare, ja abzuschaffende Einstellung. Damit vollzieht sie über alle bloßen Vorurteile und sexistischen Perspektivverzerrungen hinaus jenen Akt einer Dehumanisierung des Gegners, den wir mit vollem Recht als »faschistisch« bezeichnen. Hier geht es um Empathieverweigerung nicht nur im Sinne eines »nicht Hinsehens«, sondern im Sinne einer gewollten, aktiven Unterdrückung von Empathie gegen ihr spontanes Auftreten. Das erzeugt ein subjektives Unschuldsbewusstsein, mit dem sich praktisch beliebige Verbrechen zugunsten eines beanspruchten höheren Ideals nicht nur politisch, sondern auch psychologisch rechtfertigen lassen. Erneut mit den Worten Himmlers:

»Insgesamt aber können wir sagen, dass wir diese schwerste Aufgabe in Liebe zu unserem Volk erfüllt haben. Und wir haben keinen Schaden in unserem Inneren, in unserer Seele, in unserem Charakter daran genommen.«

Es sind die Julie Bindels des Feminismus, die sich jede Mühe geben, der Vokabel vom Feminazi eine nicht bloß überreizt-polemische, sondern ganz buchstäblich zutreffende Bedeutung zu verleihen.