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20. Oktober 2017

Ich publiziere hier einen weiteren Kommentar zu einem neuerlichen Blopost von »kunstproduktion« als Artikel, zumal der Versuch, ihn »vor Ort« einzustellen, aus mir unbekannten Gründen zu scheitern scheint: der Kommentar wird nicht einmal als »wartet auf Freischaltung« sichtbar.

»kunstproduktion« schreibt hier:

»Wenn man nun dieser Richterin aber unbedingt unterstellen möchte, dass sie einen feministischen Kampf gegen Männer führt, dann muss man ihr auch unterstellen, dass der Anpruch des Feminismus, patriarchale Rollenklischees abzuschaffen, gelogen ist. Denn sie handelt ja nach diesen Klischees. So erkläre ich mir den Umstand, dass ich in einigen Antworten zu meinem Blogeintrag gelesen habe, dass die Behauptung, Feministinnen würden gegen diese Rollenbilder kämpfen, eine Proagandalüge sei.«

Ich ersehe hier, dass ein wichtiges Argument noch nicht genannt wurde: es ist völlig zutreffend, dass nicht jede Benachteiligung von Männern, beispielsweise von Vätern bei Gericht, ein feministischer Kampf gegen Männer ist. Es kann auch ein »ganz gewöhnlicher« reaktionärer Kampf gegen Männer sein. Denn wie von Dir bereits erwähnt: es gibt gegen Männer gerichtete sexistische Klischees, die älter sind als der Feminismus. An dieser Stelle nicht fehlen darf daher der Verweis auf Christoph Kucklicks wichtige Untersuchung Das unmoralische Geschlecht erfolgen, in der er gezeigt hat, dass die (von »uns Männerrechtlern«) am Feminismus beanstandete Männerverachtung in der Zeit um 1800 praktisch gleichursprünglich mit der modernen Gesellschaft entsteht. Das hat mit der Konstituierung der bürgerlichen, näherhin viktorianischen Geschlechtsrollenkonstruktion zu tun, die im Unterschied zur Epoche des Ancien Régime gerade nicht mehr ohne weiteres als »patriarchal« zu subsumieren ist, weil sie die Denkfigur einer moralischen Überlegenheit der Frau einführt. Im Vergleich zur Rollenkonstruktion des Ancien Régime ist das nichts weniger als eine kopernikanische Revolution in der Wertung der Geschlechter, auf die sich die »Logik des Sexismus« im Sinne eines Modellcharakters des Mannes gerade nicht mehr anwenden lässt.

(Ich weise an dieser Stelle auch regelmäßig darauf hin, dass das auch mit einem Wandel in der politischen Theorie von Jean Bodin bis John Locke korrespondiert: ersterer definiert den Staat noch explizit – und gut absolutistisch – nach der Analogie zur patriarchalen Familie, letzterer baut seine politische Theorie ebenso explizit auf eine Kritik des biblischen Patriarchalismus in Gestalt der Schriften von Sir Robert Filmer.)

Was auch impliziert, dass sich echter Patriarchalismus in der Moderne zunehmend nur noch in strenggläubigen kirchlichen Kontexten (katholischer Fundamentalismus und protestantische »Sekten«) findet.

Die Kritik am Feminismus bezieht sich daher in diesem Kontext nicht darauf, dass der Feminismus diese viktorianische Männerverachtung erfunden habe. Sondern dass er sie entgegen seinem eigenen Anspruch, fundamentale Gesellschaftskritik zu betreiben, nicht durchschaut. Wenn daher ein Vater vor Gericht auf ein sexistisches Klischee stößt, das ihm seine Kinder nimmt, dann muss es sich dabei nicht um ein Resultat feministischer Ideologie handeln. Es genügt, wenn der Richter oder die Richterin das viktorianische Klischee internalisiert hat. Den Feminismus trifft an dieser Stelle eine andere Kritik: nämlich die, dass er sich paradoxerweise mit diesem viktorianischen Klischee gemein macht, es in einer eigenen feministischen Variante reproduziert und damit faktisch Verrat an den eigenen emanzipatorischen Prinzipien begeht.

Noch ein weiterer Aspekt: Forent Leszek hat an anderer Stelle mal darauf hingewiesen, dass ein neomarxistischer Vorwurf an den Feminismus lautet, dass er die Klassensolidarität zwischen den Geschlechtern zerstört. Auch wenn man sich selbst nicht in einer marxistischen Tradition verortet, kann man diese Kritik zumindest auf folgende Weise adaptieren: indem die feministische Ideologie, grob gesagt, zwischen den Problemen von Männern und Frauen in dem Sinne der Behauptung unterscheidet, dass Frauen die Gesellschaft (»das Patriarchat«) im Wege steht, Männer sich dagegen nur selbst im Wege stehen, ist sie bestens kompatibel mit der heute dominierenden neoliberalen Ideologie, dass Menschen an ihrem Versagen (auf dem Arbeitsmarkt) in allererster Linie nur selber schuld sind. Dieses Problem stellt sich um so schärfer, als prekäre Arbeit im Niedriglohnsektor ein dominant männliches Problem ist. Hier kann man (und muss man) dem Feminismus vorwerfen, auf direktem Wege das ideologische Geschäft des Neoliberalismus zu betreiben.

Nicht alles, was Männern schadet, ist folglich »Feminismus« oder eine Folge davon. Wohl aber ist es aussichtslos, vom Feminismus zu erwarten oder zu erhoffen, die eigene Verstrickung in reaktionäre Ideologien zu durchschauen. Und genau darum, weil feministische Ideologie in den genannten Hinsichten in ihren Konsequenzen von reaktionärer Ideologie nicht unterscheidbar ist, rechtfertigt sich durchaus auch die Haltung eines expliziten Antifeminismus. Männer, die an Emanzipation interessiert sind, sind von der formell als emanzipatorisch deklarierten feministischen Ideologie verraten und verkauft.