Zurück zur Übersicht

28. Oktober 2016

Im folgenden Blogpost beschließe ich meine Trilogie zu Jack Donovan mit einer Darstellung seines jüngsten Buches, Becoming a Barbarian, sowie einer ausführlichen Diskussion der politisch rechtsstehenden Anklänge, die insbesondere diese Schrift enthält. Dabei werde ich die einzelnen Abschnitte, deren Inhalte ich zusammenfasse, zugleich unter Bezugnahme auf Texte der intellektuellen Neuen Rechten interpretierend kommentieren, um den von Donovan aufgespannten thematischen Bogen nur einmal abschreiten zu müssen, anstatt Darstellung und Deutung in zwei geschlossenen Blöcken unterzubringen. Auf diese Weise sollte auch der Rahmen, in den ich Donovan mit meiner Interpretation stelle, zu einem frühen Zeitpunkt erkennbar werden. Alle Seitenangaben ohne zusätzlichen Titelverweis beziehen sich auf Becoming a Barbarian. Da ich in der Arbeit an diesem Blogpost auch für mich persönlich eine theoretisch unterfütterte, grundsätzliche Stellungnahme zur politischen »Links-Rechts«-Unterscheidung erarbeitet habe, hat mich dieser Post deutlich mehr Zeit gekostet, als ich erwartet hatte. Ich habe nicht versucht, alle losen Enden, die der Text noch aufweisen mag, zusammenzuknüpfen, da er auch so schon lang genug ist.

Popmusik gibt es diesmal zur Einstimmung schon am Anfang: »Goj, Rode, Goj« von »Arkona« – barbarengerechtes, heidnisches Metall aus dem Reich des Bösen!

(Teil 2: »The Way of Men«)

The Fate of Men

In The Way of Men hatte Donovan »Männlichkeit« auf den Begriff gebracht, dass die wichtigste, universelle soziale Lebensform des Mannes die »Gang« ist, die Schar untereinander konkurrierender, aber zugleich auch einander vertrauender und kooperativ agierender Krieger und Jäger, eine Sozialform, die auf den übersichtlichen Beziehungen kleiner Gruppen und der Unterscheidung eines »Wir« von »denen« beruht. »Becoming a Barbarian« beginnt damit, dass er eine unausweichliche Tragik dieser männlichen Lebensform konstatiert, die darin besteht, dass sie in einem ewigen Wettkampf besteht, einer fundamentalen Unsicherheit, die aber zugleich Bedingung dafür ist, dass Männer ihre Potentiale entfalten.

»Every boy is born cursed. Every boy will be tried and measured against others and he soon perceives or understands instinctively – he soon knows that the way of men is the way of competition and strife. The way to manhood is through the gauntlet, and there is no end to it. Manhood is not a destination but a title to be defended. (…) The gauntlet must be run whether a boy likes it or not, whether he accepts it or rejects it. To reject the struggle is forfeiture. Avoiding the struggle is an acceptance of defeat and a demonstration of spiritual cowardice.«

S. 19 f.

Wettkämpfe mit unsicherem Ausgang, der Anreiz, sich selbst stets zu überwinden und zu überbieten und die eigenen Fähigkeiten zu verbessern, ist der Ursprung und die Natur der Männlichkeit. Anders als ein heutiger feministischer Diskurs über Jungen hält Donovan nichts davon, ihnen diese Tragik zu ersparen, zu erleichtern oder ihnen gar auszureden, sich ihr zu stellen, um stattdessen ihre »Verletzlichkeit« oder »Weiblichkeit« zu entdecken. Wer dies versucht, handelt nicht im Interesse dieser Jungen, sondern in seinem eigenen:

»The idea that a man should be ›secure in his masculinity‹ is a bourgeois fantasy invented by therapists and repeated by women. (…) There are some who will applaud this kind of forfeiture as if it were courageous, but they are despisers of masculinity and strength. They are foolish women or failed men or deceitful manipulators who prefer men to be passive, for reasons of their own.«

S. 19 f.

Damit diese Art von Männlichkeit sinnvoll und produktiv funktionieren und ihren Beitrag zum Überleben der Gruppe leisten kann, bedarf sie des Kontextes der »Gang«, des »Männerbundes« (im Original deutsch). Männlichkeit und Männerbund konstituieren sich gegenseitig, denn der Bund bildet den Rahmen der männlichen Ehrenmoral. Aber das konfliktreiche Leben im Geltungsbereich dieser Ehrenmoral ist zugleich ein lebendiges, ein lebenswertes Leben, das sich über das Vergessenwerden erhebt. Männliche Ehre ist mit dem Ruhm verbunden, der Grundlage des Weiterlebens im Gedächtnis der Gruppe. Eine gleichmachende, universalistische Moral und ein umfassender Frieden lässt Männlichkeit sterben:

»Eternal peace is the death of manliness. The peace sign is a death rune. (…) Universalism destroys masculinity. Without separation there can be no conflict and without conflict there can be no vital masculinity. (…) Without outsiders, there can be no insiders. Without ›them‹, there can be no ›us‹. Without ›us‹, there can be no honor group, and therefore, no honor. (…) Without conflict, no life story is worth telling. Without conflict and struggle, the answer to the question ›What happened?‹ is: ›Nothing‹.«

S. 21 ff.

Die Tonlage des Einleitungskapitels setzt den Rahmen für die Grundthese des Buches. Im Vergleich zu den vorangehenden Büchern ist sie härter und schroffer geworden, auch düsterer und apokalyptischer. Auf den ersten Blick lesen sich Donovans Ausführungen wie ein unfreiwilliger Versuch, die feministische Behauptung zu rechtfertigen, »Männlichkeit« sei ein mit Krieg, Konflikt, Unfrieden, fragilen Egos und Angeberei zwingend verbundenes Bündel von Eigenschaften und folglich der Mann ein Barbar, dem man nur die historische Überwindung wünschen könne. Den Versuch einer Stigmatisierungsumkehr ausgerechnet am Begriff der Barbarei zu üben, scheint eine verfehlte Provokation zu sein und sich selbst dazu zu verdammen, als ein Witz auf Donovans eigene Kosten zu enden. Inhaltlich gehaltvoll und in der Intention nachvollziehbar wird sein Argument tatsächlich auch erst durch das von ihm gezeichnete Gegenbild der Zivilisation, von dem er das moderne Barbarentum absetzt. Ohne dieses Gegenbild gibt es kein Argument, welches sich mehr oder weniger in der Opposition von dekadenter Zivilisation und edler oder besser aufrichtiger Wildheit entfaltet. Allerdings spricht Donovan nicht aus der Position des Zivilisierten, der anderen Zivilisierten zu ihrer Beschämung die Tugenden des Wilden vorführt, sondern er wählt die Position des Wilden selbst, der sich von der Zivilisation lossagt. Donovan tritt auf wie ein Schamane, der ein Fluchritual über die moderne Welt wirkt.

Identity is Everything

Wenn der Weg der Männer der Weg der »Gang« ist, dann ist diese Gang, die übersichtliche Kleingruppe zugleich konkurrierender und kooperierender Gleichgestellter, die Ausgangsbasis jeglicher persönlicher Identität, also jeglichen Selbstbildes als Voraussetzung von Selbstachtung und Handlungsfähigkeit. Die Fähigkeit zur »Handlungsführung« setzt nicht nur ein hinreichend adäquates Bild der Umwelt voraus, sondern auch ein hinreichendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich in einer gegebenen Situation erfolgreich zu bewegen. Dazu gehört nicht nur das spezifische Vertrauen in eine konkrete eigene Kompetenz, sondern auch ein generelles Selbstvertrauen, das bei Menschen, wir »erfolgsverwöhnt« nennen, stärker ausgeprägt ist. Und schließlich setzt erfolgreiches Handeln ein Bewusstsein vom Kontext sozialer Normen und Erwartungen voraus, die in einer Situation anwesend oder abwesend sind, gerade auch für den Fall, dass Normen absichtsvoll verletzt werden. Erfolgreiches Handeln hat also eine objektive, eine subjektive und eine soziale Dimension, und »Identität« ist ein ausbalancierter Standort in diesem Koordinatensystem.

»Social identity is meaning. It is the ›why‹ that follows naturally from the ›we.‹ Without a firm social context, humans are disoriented and actions become relatively arbitrary and meaningless. Social identity is social orientation. It is the starting point from which the spear extends. Identity is a rootedness that provides a rationale for action. Identity is everything and everyone inside the perimeter. It is the superego that gives context to the ego, the natural home of the ego – the home of the self. Essentially, tribal identity is everything that matters.«

S. 29 f.

Identität ist in diesem Sinne Verwurzelung auf der Innenseite der »Wir-Grenze«, die Verankerung des Ichs im Über-Ich des Stammes. Das isolierte Individuum ist kein Wesen, das in einen tribalen Kontext hineinpasst. Wenn, wie die Kulturanthropologie lehrt, das menschliche Gehirn ein »öffentliches Organ« ist, das gruppengestützter sozialer Kommunikation zu seinem eigentlichen Funktionieren bedarf, dann ist plausibel, dass jeglicher »Sinn« an die soziale Identität von Individuen gebunden ist. Der Hobbes’sche Naturzustand des Krieges sozial unverbundener Individuen gegen andere ist eine Fiktion und allenfalls ein Übergangsstadium:

»The absence of social identity – of belonging to any clearly defined group – conjures the Hobbesian fantasy of the warre of ›all against all‹ where men are friendless and every man and woman and child is a potential enemy. This friendless, low-trust world is chaotic, inhuman and temporary.«

S. 27

Woher stammt aber der Bedarf nach einer solchen kleinräumigen sozialen Identität, und wieso sollten wir dieser Akzentsetzung Donovans, die wir auch als seine private Obsession betrachten könnten, nicht nur zeitdiagnostische, sondern obendrein therapeutische, weil Handlungsfähigkeit herstellende, Relevanz zugestehen? Ich möchte das mit einem Exkurs zur Situation der neueren französischen Psychiatrie und Sozialarbeit erläutern, wie sie von Alain Ehrenberg in »Das Unbehagen in der Gesellschaft« mit einer ähnlichen Akzentsetzung geschildert worden ist. An diesem Beispiel sehen wir, wie das Fehlen von Handlungsfähigkeit beschaffen sein kann. Die »psychosoziale Klinik« Frankreichs ist sozusagen die klassische Psychiatrie, die auf politische Anweisung hin damit begonnen hat, zusätzlich sozialpsychiatrische und sozialarbeiterische Aufgaben zu übernehmen. Im Zuge der »Prekarisierung« von Schichten der französischen Gesellschaft, denen der frühere Identitäts- und Solidaritätszusammenhang der »Arbeiterklasse« abhanden gekommen ist, äußern sich die Symptome eines »Leidens an der Gesellschaft« zusehends nicht mehr auf der politischen, sondern auf der psychischen Ebene:

»Die psychosoziale Klinik stellt sich als eine ›Klinik der narzißtischen Destabilisierung und der Krankheitserscheinungen der Gesellschaft dar.‹ Die psychopathologische Problematik der betroffenen Personen ist gänzlich von der Tonart des Verlusts geprägt: Depression, Rückgang, Zusammenbruch. (…) Bei dieser Klinik dreht sich alles um den Verlust, den Verlust des Arbeitsplatzes, der Wohnung, des Status, der Selbstachtung. Es handelt sich um einen umfassenden Vertrauensverlust, der durch die Prekarität hervorgerufen wird: ›Verlust des Vertrauens in den anderen, der die eigene Existenz anerkennt; Verlust des Selbstvertrauens, des Vertrauens in die eigene Würde der Existenz; Verlust des Vertrauens in die Zukunft.‹ (…) Die Psychiater sprechen vom Ausgrenzungs- oder Selbstausgrenzungssyndrom, um die Extremsituation mancher Obdachloser zu beschreiben. (…) Jean Maisondieu definiert das Ausgrenzungssyndrom durch drei Merkmale: die Scham, die Hoffnungslosigkeit und die affektiv-kognitive Hemmung, die eine Gefühllosigkeit gegenüber dem Leiden hervorbringt. Es ist die äußerste Reaktion auf die Tatsache, daß der Ausgeschlossene nichts zählt.«

Ehrenberg 2011, S. 439 ff.

Ehrenberg benennt auch den gesellschaftlichen Kontext dieser Krise: es ist die Individualisierung der Zuständigkeit für das eigene Schicksal, die zu dieser Situation geführt hat, weil sie ein Modell der Selbstsorge und Ichstärke zur gesellschaftlichen Norm erhebt, von dem viele Menschen außerhalb der bürgerlich gebildeten und sozialisierten Schichten systematisch überfordert sind:

»Man verlangt von den Armen, daß sie sich wie jene Macher und Gewinner benehmen, die im Laufe der 1980er Jahre in der Landschaft Frankreichs auftauchten und eine Ideologie des gesellschaftlichen und sonstigen Erfolgs verkörperten. (…) Die individuellen Anforderungen an die Autonomie und Verantwortung, die fortan für die gesellschaftliche Wiedereingliederung unverzichtbar sind, implizieren, daß die persönlichen Kompetenzen oder Dispositionen als zentrales Element der Ungleichheiten erscheinen. ›Häufig ist es die Fähigkeit, sich in die Zukunft zu projizieren, an der es offenbar mangelt … . (I)m Zentrum der Intervention steht vielmehr seine [des Subjekts – dj] Handlungsfähigkeit überhaupt.‹ Die abweichenden Verhaltensweisen, die Gegenstand der herkömmlichen Sozialarbeit waren, nehmen einen neuen Sinn an: Sie sind Verhaltensweisen der Ohnmacht.«

Ehrenberg 2011, S. 433 f.

Daraus ergibt sich die Zielsetzung der Interventionen der psychosozialen Klinik:

»Das Ziel dieser Klinik besteht darin, die Handlungsfähigkeit wiederherzustellen, die durch den gesellschaftlich verursachten narzißtischen Zusammenbruch zerstört wurde. (…) Von der Psychologie zu sprechen bedeutet, von der sozialen Bindung zu sprechen. Die Psychologie ist kein bloßer Zusatz zur Gesellschaftspolitik, heute ist sie ein wesentlicher Zug dieser Politik, und zwar aufgrund der Betonung der persönlichen, psychologischen, sozialen oder relationalen Kompetenzen.«

Ehrenberg 2011, S. 434 f.

Am Beispiel Frankreichs lässt sich auch der politische Kontext genauer darstellen, der zur Entstehung dieser neuen sozialen Verhältnisse beigetragen hat. Der selbst aus einfachsten sozialen Verhältnissen stammende Soziologe Didier Eribon (*1953) hat hierzu in seiner kürzlich auch auf Deutsch erschienenen Schrift »Rückkehr nach Reims« eindringliche Überlegungen angestellt. Eribon schildert, wie das alte Identitätsmodell des in einem stabilen sozialen Milieu verankerten Arbeiters durch das Identitätsmodell eines allein auf die persönlichen Fähigkeiten gegründeten, »autonomen« Individuums abgelöst worden ist:

»Die sozialistische Linke unterzog sich einer radikalen, von Jahr zu Jahr deutlicher werdenden Verwandlung und ließ sich mit fragwürdiger Begeisterung auf neokonservative Intellektuelle ein, die sich unter dem Vorwand der geistigen Erneuerung daranmachten, den Wesenskern der Linken zu entleeren. Es kam zu einer regelrechten Metamorphose des Ethos und der intellektuellen Koordinaten. (…) Die Absichten wurden kaum verschleiert: Das Beschwören des ›autonomen Subjekts‹ und die damit einhergehende Verabschiedung aller Überlegungen, die von der determinierenden Kraft historischer und sozialer Gegebenheiten ausgehen, zielten darauf, die Idee, es gäbe so etwas wie soziale Gruppen (›Klassen‹), ein für allemal zu entsorgen.«

Eribon 2016, S. 120 f.

Dieses Leitbild der Autonomie ist jedoch eine aus dem paläo- und neoliberalen Menschenbild stammende Fiktion, die sich nur unter bestimmten sozioökonomischen Voraussetzungen, nämlich der Zugehörigkeit zu den gut ausgebildeten Kohorten des mittleren und gehobenen Bürgertums, überhaupt als Leitbild aufrechterhalten lässt. Gehört man jedoch nicht zu diesen gesegneten sozialen Kreisen und stehen angesichts gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen die Chancen schlecht, sich innerhalb anspruchsvoller Arbeit weiter zu qualifizieren, dann bestehen die Folgen eines Wechsels des dominierenden sozialen Identitätsmodells nicht in der Selbstermächtigung, dem »Empowerment«, sondern in Überforderung und Ohnmacht, die sich auf neue Weise politisch artikuliert:

»Indem man jedoch die Vorstellung konfligierender sozialer Gruppen aus dem politischen Vokabular der Linken tilgte, glaubte man, den Wählern damit auch die Möglichkeit einer von gemeinsamen Sorgen, Interessen und politischen Zielen bestimmten Gruppenidentifikation zu nehmen. Man hat diese Wähler zur Ohnmacht verurteilt … . Aber aus dieser Ohnmacht ist Wut geworden. Und das Ergebnis hat nicht lange auf sich warten lassen. Die Gruppe hat sich neu formiert.«

Eribon 2016, S. 125 f.

Und diese Neuformierung der als »Arbeiterklasse« politisch und kulturell liquidierten Schichten führt sie, über die Krise und Neuformulierung ihrer sozialen Identität, auf die Seite der politischen Rechten:

»Die gewichtigste Folge des Verschwindens der Arbeiterklasse und der Arbeiter, ja des Klassenbegriffs überhaupt aus dem politischen Diskurs, war die Aufkündigung der alten Allianz zwischen Arbeitern und anderen gesellschaftlichen Gruppen (Beamte, Angehörige des öffentlichen Dienstes, Lehrer …) innerhalb des linken Lagers, die den Weg freimachte zu einem neuen, größtenteils rechts verankerten oder sogar rechtsextremen ›historischen Block‹ (Gramsci), der heute große Teile der prekarisierten und verwundbaren Unterschicht mit Leuten aus Handelsberufen, mit wohlhabenden, in Südfrankreich lebenden Rentnern, ja sogar mit faschistischen Exmilitärs und traditionalistischen Katholiken verbindet.«

Eribon 2016, S. 127 f.

Wo innerhalb des sozioökonomischen Gefüges der USA befindet sich eigentlich Donovan selbst? Er sagt darüber nicht viel, aber ein paar Hinweise lassen sich seinen Schriften entnehmen. In »The Physical Challenge«, einer der in »A Sky Without Eagles« zusammengefassten kurzen Schriften, schildert er einen seiner Nebenjobs:

»Every Saturday for the last 9 months it’s been my job to deliver a palette of grain to a downtown brewery. I counted the bags yesterday. 44 bags of grain, 50 pounds each. It varies from week to week, but that’s a pretty standard load. The brewery is on the mezzanine, up 2 flights of about 10 stairs. There is an elevator.«

Sky, S. 115

Er erklärt dann, warum er sich weigert, diese Getreidesäcke mit Aufzug und Hubwagen zu transportieren und sie sich stattdessen lieber auf die Schultern lädt:

»The next time you have the opportunity to do real work, take it. Take the physical challenge. Do the work. Don’t try to make it easier so you can work ›smarter‹. Try working harder«

Sky, S. 118

Physische Stärke als Bestandteil der Arbeit und des Selbstbildes gehört zur Kultur der Arbeiter. Donovan erzählt nicht viel über seine soziale Herkunft, außer dass er aus dem ländlichen Pennsylvania stammt, und einige seiner Äußerungen lassen vermuten, dass er eher aufgrund eigener Lebensentscheidungen (die teilweise mit seiner Homosexualität zusammenhängen könnten) als aufgrund schlechter Startbedingungen nicht ins bürgerliche Standardmodell der Lebensführung eingeschert ist. Auch seine Beobachtungsgabe und Artikulationsfähigkeit sprechen dafür. Es spricht einiges dafür, dass das, was früher die »Arbeiterklasse« gewesen wäre, zu Donovans Wahlheimat geworden ist – außer, dass es diese Arbeiterklasse nicht mehr gibt. Dass sie sich in den USA kaum einmal, wie in Frankreich, kommunistisch verortet hat, ist hier nebensächlich. Wichtiger ist, dass Donovan aufgrund seiner intellektuellen Qualitäten hervorragend geeignet ist, eine Identitätsproblematik, die der von Ehrenberg und Eribon geschilderten analog ist, gleichsam aus der Teilnehmerperspektive literarisch aufzugreifen und zu bearbeiten.

Welche Identität liegt aber nahe, wenn sie nicht an einen Klassenbegriff, weder den proletarischen noch den des bürgerlichen Selbstverständnisses, gebunden werden kann? Es ist nur folgerichtig, dass Donovan nach einer anthropologisch primären Identitätsform sucht und sie, nicht zuletzt aufgrund seiner homosexuellen Neigung zu »Männerbünden«, in der ursprünglichen männlichen »Gang« findet. Der Begriff »Gang« ist aber, wie wir an »The Way of Men« gesehen haben, in erster Linie deskriptiv und politisch unartikuliert. Zu einem solchen politisch artikulierten Begriff, der sich gegen die bürgerliche, kapitalistische, globalistische, multikulturelle, feministische Mehrheitsgesellschaft richten lässt, wird er dadurch, dass er um einen wertenden Akzent aufgestockt und als barbarische Gang reformuliert wird. Durch Donovans Selbstdeklaration zum »Barbaren« wird der Begriff der »Gang« politisch offensiv und kann sich gegen sein negatives Gegenbild, die »Zivilisation« und das »Imperium« orientieren.

Der Rest von Donovans Buch, also der größte Teil, besteht aus einer solchen Abrechnung mit der Zivilisation und dem Imperium.

Universal Impotence

Das Gegenstück zur barbarischen Stammesidentität ist der moralische Universalismus, der eine Identifizierung mit »der Menschheit«, d.h. mit allen Menschen, impliziert. Die Identifizierung mit einer abstrakten Menschheit ist aber Donovan zufolge unvereinbar mit der Akzeptanz irgendeiner partikularen Identität, und zwar so weitgehend, dass jegliche partikulare Identität zu einer Form der Rückständigkeit, der politischen und moralischen Unterentwicklung erklärt werde. Und weil universalistische Identität von jeder partikularen Identität entleert wurde, ist sie als Ganze »leer«. Wer für alle stehen will, steht für niemand.

»Western men are expected to act like fools. They have abandoned their social identities, and therefore have no social orientation in the world. Or, rather, they are oriented against orientation. The only thing they stand against is identity. Identity is everything, so essentially they’ve become the champions of nothingness. Good, modern, civilized white men stand for nothing, so as the saying goes, they will fall for anything.«

S. 39

Dieser inhaltlichen Leere korrespondiert eine Machtlosigkeit und, da man als Einzelner gleichsam austauschbar »jeder« ist, eine Unfähigkeit, für sich und seine eigenen Interessen zu kämpfen:

»Moral universalism is a philosophy for men who have surrendered. They have surrendered their land, their history, their women, their dignity and their identity. They’ve become impotent half-men who deserve to be victims and slaves. Moral universalism is a poisonous, emasculating philosophy for any man who adopts it.«

S. 41

Aus diesem Ansatz der Kritik ergibt sich auch, dass Donovans Gegner nicht fremde Ethnien sind. Wer auch immer (noch) über eine ethnische Identität verfügt, ist im Gegenteil Adressat seiner Warnungen vor der universalistischen Moral, im folgenden Zitat an die »kaffeefarbenen« Ethnien gerichtet:

»If you are not a Western white man, and you adopt this philosophy, you will also eventually lose your culture and your history and your identity and you will also deserve to be a victim and a slave. Your cappucino-colored kin will disappear completely into that incomprehensible swarm of 9.5 billion indistinguishable cappucino-colored drones. They may have come for our identities first, but eventually, they’ll come for yours.«

S. 41

Der wahre Gegner ist ein Standpunkt über allen Standpunkten, der für Identität nichts mehr übrig hat: das »Imperium des Nichts«:

»The interests and mechanisms that drive the Empire have no use for identity. Identity is an inconvenience. It’s inefficient. It’s in the way. The forces of globalism are aligned against identity, against everything that means anything. Together, they form an Empire of Nothing.«

S. 41

Dieser Vorwurf läuft nun aber darauf hinaus, dass das vollständig individualisierte Wirtschaftssubjekt des globalen Kapitalismus und der ökonomischen Theorie mit dem für allgemeingültig gehaltenen autonomen Subjekt der philosophischen Moderne ineins falle, dass also mithin die kulturelle Moderne nur ein ideologischer Reflex der ökonomischen Moderne sei. Ähnlich formuliert dies auch ein Protagonist der intellektuellen Neuen Rechten, Alain de Benoist:

»Die ganze gegenwärtige Krise rührt her von dem sich verstärkenden Widerspruch zwischen der Idealvorstellung des abstrakten universalen Menschen (mit der Atomisierung und Entpersönlichung der sozialen Beziehungen als Folge) und der Wirklichkeit des konkreten Menschen, für den die sozialen Beziehung weiterhin auf Gefühlsbindungen und Nachbarschaftsbeziehungen gründet (mit Zusammenhalt, Konsens und gegenseitigen Verpflichtungen als Folge).«

Benoist 2003, S. 94

Benoist identifiziert diesen »abstrakten universalen Menschen« ausdrücklich als das Produkt nicht nur der ökonomischen, sondern auch der philosophischen Theorietradition:

»Im modernen Sinne des Wortes ist der Individualismus die Philosophie, die den Einzelnen als die einzige Wirklichkeit ansieht und ihn zum Maß aller Dinge erhebt. Dieser Einzelne wird an sich betrachtet, abgesehen von jedem sozialen oder kulturellen Kontext. (…) Deshalb mißt er den Gemeinschaften, Völkern, Kulturen oder Nationen keinen Status selbständiger Existenz zu. In diesen Gebilden sieht er nur eine Ansammlung einzelner Atome und behauptet, daß nur letztere Wert haben.«

Benoist 2003, S. 74 f.

Die Möglichkeit, dass die philosophische oder kulturelle Moderne ein kritisches Korrektiv zu den Engführungen der ökonomischen Moderne aufbieten könnte, scheint in dieser Perspektive ausgeschlossen. Das Korrektiv wird stattdessen jenseits (oder diesseits) des Individualismus, in der Verteidigung kollektiver Identitäten, gesehen. Ein anderer bedeutender Vertreter der Neuen Rechten, Armin Mohler, hält das »Individuum« schlechthin für eine ideologische Fiktion:

»Hat der Liberale nicht als höchsten Wert, von dem all sein Denken ausgeht, das Individuum? Gibt es etwas Konkreteres als das Individuum? Nun – der Kritiker des Liberalismus, der nicht bloß an den Symptomen herumdoktert, sagt: das Individuum gibt es gar nicht. Es ist eine Erfindung. Die Vorstellung eines autonomen ›Individuums‹, wie sie dem Liberalen so am Herzen liegt, ist die schlimmste aller Abstraktionen. Es ist geradezu banal, das festzustellen: jeder Mensch steht in einem Lebenszusammenhang, von dem aus er denkt und reagiert. Er ist in seiner Familie verwurzelt oder in der Bindung an andere Menschen, er steht in seiner Landschaft (und wenn es eine Großstadtlandschaft ist). Er verhält sich im Hinblick auf die geschichtliche Situation, in der er sich befindet, und im Hinblick auf die Aufgabe, die er sich gestellt hat.«

Mohler 2010, S. 14

So gesehen scheint es für ein weltumspannendes System, das auf der Idee des Individualismus beruht, tatsächlich keine treffendere Bezeichnung zu geben als das »Imperium des Nichts«.

The Empire of Nothing

Das »Imperium des Nichts« ist die politische Verkörperung der »leeren Identitäten« universalistisch orientierter Individuen. Es ist zugleich auch die politische Verkörperung der allein auf Nutzenkalkülen beruhenden globalen ökonomischen Maschine. Diese Maschine bedarf des atomisierten, gleichförmigen, austauschbaren, auf eine ökonomische Formel und Funktion reduzierten, Individuums für ihr reibungsloses Funktionieren.

»Corporations are often portrayed as evil groups of greedy men plotting against minority interests, but in reality the publicly traded corporation is simply an amoral, profit-driven legal entity that sees everything in terms of its bottom line. (…) Employees aren’t people, they are animated skill sets which perform functions. When it is profitable to replace people with computers that reproduce their functions, they will be replaced. (…) As a legal entity, a publicly traded corporation has no loyalty to a particular people or nation. When it is profitable, that entity will import people with a given skill set who will work for the lowest salary, or open up a division in a different country if the people there have the skills and will work cheaply enough.«

S. 46

Die Reduzierung von Konflikten durch eine Kultur und Moral der universellen Toleranz, Rücksichtnahme und Kompromissbereitschaft hat in dieser Perspektive keinen Eigenwert, sondern dient gleichsam der Formatierung von Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und geschichtlicher Hintergründe zu standardisierten und normierten Funktionsbauteilen, die konfliktfrei miteinander zusammenarbeiten und einander bei Bedarf ersetzen können.

»Antagonistic ideas are disruptive to the work environment. (…) You’re not going to increase collective productivity by telling your co-worker that she’s going to Hell, or should be at home in the kitchen, or that her religion is stupid, or that her people are boy-raping goat-fuckers. The corporation benefits from the Roman approach. Employees are allowed to maintain their cultural identities at a superficial, nondisruptive level, so long as they bend a knee to the superordinate corporate culture and its goals.«

S. 46

Zu einer friedlichen Gesellschaft führt dies dennoch nicht, denn die ökonomische Maschine ist ein System, dessen einzelne korporative Akteure untereinander immer noch in einem Verdrängungswettbewerb stehen, was der Grund für die von den in ihnen tätigen Menschen geforderte umfassende Anpassungsbereitschaft ist:

»The Empire of Nothing is an international collection of self-interested and self-perpetuating systems with overlapping interests. These systems … are all struggling to survive in a Darwinian fashion.«

S. 47

Dieser Zustand ist der Fluchtpunkt der okzidentalen Geschichte, ein Punkt, an dem die westlichen Kulturtraditionen in ihre eigene Selbstverleugnung und letztlich Selbstaufhebung umschlagen:

»Why did the West, a collection of nations with different languages and histories, a collection of kingdoms and proper Empires, become a collection of businesses and institutions aligned against identity? How did the cultural hegemony imposed by the West on others become the culture of cultural erasure?«

S. 48

Auch diese Frage und die in ihr implizierte historische These findet man innerhalb der Neuen Rechten formuliert. Einer ihrer jüngeren Vertreter, Manfred Kleine-Hartlage, wirft den westlichen Gesellschaften in demselben Sinn des Begriffs einer »culture of cultural erasure« vor, ihre eigene Selbstaufhebung zu betreiben:

»(D)ie Liquidierung der Strukturen, auf denen die europäische Zivilisation basiert, (ist) der Kern praktisch der gesamten Politik, die von allen relevanten Großakteuren westlicher Gesellschaften vorangetrieben wird.«

Kleine-Hartlage 2013, S. 205

Kleine-Hartlage sieht liberale und linke Weltanschauungen als zwei Aspekte einer »Metaideologie« der Aufklärung, die bei allen Unterschieden gemeinsame, utopische Prämissen teilen, welche auf die beliebige Planbarkeit und Gestaltbarkeit von »Gesellschaft« hinauslaufen und darin die natürlichen Grundlagen der menschlichen Gemeinschaftsbildung mißachten. Donovans Unterscheidung von »us« und »them« als der grundlegenden, Gemeinschaft konstituierenden Differenz findet sich auch bei Kleine-Hartlage:

»Jede funktionierende Gesellschaft beruht auf einem weitgehenden und größtenteils unbewußten Konsens über ein hochkomplexes Normen- und Wertesystem, das insbesondere bestimmt, … wem man in welchen Zusammenhängen welches Maß an Solidarität schuldet, vereinfacht gesagt also: wer ›wir‹ und wer ›sie‹, ›die Anderen‹ sind. Solche Systeme … können aber nur deshalb zustande kommen, weil Menschen von Natur aus bestimmte Eigenschaften besitzen, die sie befähigen, friedlich und geordnet zusammenzuleben. (…) Zu diesen Eigenschaften gehören unter anderem die Bereitschaft und Fähigkeit zur Bildung von Solidargemeinschaften, die auf dem Ausschluß der Nichtdazugehörigen beruhen, demgemäß die Bevorzugung des Eigenen vor dem Fremden, die Bereitschaft zur Akzeptanz eines gesellschaftlichen Konsenses über Normen, Werte und Spielregeln, verbunden mit der Diskriminierung dessen, was davon abweicht.«

Kleine-Hartlage 2013, S. 208 f.

Und ähnlich wie bei Donovan, der die »Barbarei« der »Zivilisation« antagonistisch und dichotom gegenüberstellt, scheint es auch bei Kleine-Hartlage zwischen den »natürlichen Grundlagen der Gemeinschaft« und dem »Paradigma der Aufklärung« keinen großen Spielraum der geschichtlichen Entwicklung zu geben. »Aufklärung« ist oder besser endet als etwas, das diese offenbar als unhistorisch verstandenen Grundlagen schleift :

»Das aufklärerische Paradigma tendiert dazu, die soziale Funktion solcher Wertorientierungen zu ignorieren. (…) (Es) trifft deshalb nicht zu, weil Gesellschaften um so stabiler sind, je weniger die überkommenen Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden, je weniger Aufklärung also stattfindet.«

Kleine-Hartlage 2013, S. 209

Donovan bezieht die Kritik am moralischen Universalismus nun spezifisch auf die amerikanische Geschichte, und zwar auf ihren Umgang mit einer durchgängigen Konstante dieser Geschichte, der Einwanderung. Die Vereinigten Staaten sind, mit einem Begriff aus dem an der Freiheitsstatue angebrachten Text von Emma Lazarus aus dem Jahre 1883, die »Mutter der Vertriebenen«.

The Mother of Exiles

Der moralische Universalismus ist die Moral und Ideologie der Händler. Der Händler ist eine domestizierte, angepasste, weichgespülte Version des Mannes, der jeden anderen Mensch anhand seines Geldstapels bemisst, und der zum neuen Leitbild der modernen Gesellschaft geworden ist. Sofern man nicht gerade, wie die Wikinger, augenblicklich von Tauschmodus in den Kampfmodus und zurück umschalten kann, weil man auf den Drachenbooten über eine hohe Mobilität und Unabhängigkeit verfügt, sind diese Eigenschaften des Händlers historisch leicht erklärbar: der Händler ist derjenige, der den Perimeter des »Wir« verlässt, um sich in den Perimeter eines anderen, fremden »Wir« zu begeben und dort Handelsgeschäfte abzuschließen. Als Fremder ist er auf die Gastfreundschaft gegenüber Fremden sowie darauf angewiesen, sich an fremde Regeln und Etikette so gut wie möglich anzupassen. Der Tausch- oder Warenwert seiner Güter, nämlich andere Güter oder eben Gold, ist der einzige kommensurable Maßstab, der für seine Handelsgeschäfte angewendet werden kann.

»This moral universalism that serves commerce, this idea that anyone is as good as his pile of gold, must have been present to some extent in any center of trade at any point in history. It follows logically when there is opportunity to trade with a wide range of people, and when competition for business has eclipsed all other loyalties, moralities and concerns, as it has today. The soft and ›open-minded‹ civilities of urban merchants have long been at odds with male tribalism and honor cultures.«

S. 54

In der modernen Gesellschaft ist der gegen die tribale, männliche Ehrenmoral gepolte Händler jedoch zum universellen Leitbild geworden. Diese »Verweichlichung« der Umgangsformen ist – wir ahnen es – zugleich eine »Verweiblichung«. Denn der Universalisierung der geschmeidigen Händlermoral korrespondiert Donovan zufolge auch die Universalisierung einer weiblichen Fürsorgemoral, einem Beschützer- und Sicherheitsdenken, das zu einem uneingeschränkten Mitgefühl mit »Opfern« führt – und zwar in einem Ausmaß, dass es erstrebenswert geworden ist, sich als Opfer darzustellen:

»Wealth is extorted from the successful and redistributed to anyone who says they need it, reducing both motivation to succeed and the penalties of failure. Female sympathy for victims of disease or circumstance has elevated victimhood to heroic levels, actually making victimhood so desirable that even the most spoiled of white women degrade themselves by publicizing maudlin, mundane and often made-up tales of private trauma or personal struggle. (…) Moves must be made to nurture and protect every potential victim from injury, even if that is impossible. Like the goddess Frigg asking fire, water, iron, beasts and birds to take an oath to protect her son, the nature of woman, unchecked by man, is to child-safe the world and try to save us all from anything that could do us harm … or bring us glory«

S. 57

Das von Donovan skizzierte Bild mutet wie eine kurzgefasste Paraphrase der Thesen von Christoph Kucklick an. Auf der einen Seite der Mann als Händler, stromlinienförmig in die Funktionsgesetze einer grenzüberschreitenden Ökonomie integriert und damit einer ursprünglichen männlichen Ehrenmoral entkleidet, auf der anderen Seite eine Sphäre der Weiblichkeit, die zur eigentlichen Quelle einer neuen Art von Moral wird, die auf die Propagierung von Einigkeit, Harmonie, Artigkeit, Korrektheit und Etikette hin gestrickt ist. Die Logik des Geldes hat die moralische und politische Korrektheit geheiratet und mit ihr gemeinsam das Kind der modernen Gesellschaft gezeugt.

»Women have always excelled at teaching and enforcing everyday etiquette. Within a given tribe, this has always been a necessary and important role that promotes internal unity and harmony. (…) Today, in the classroom, in the workplace, in the government and in the media, women are among the foremost proponents of all forms of political and social correctness. (…) Women are behaving as they have always behaved and are playing similar roles, but instead of serving the tribe, they have become the useful idiots of global financial interests who use their newfound political influence to mommy us all, weaken us by protecting us from risk, and reconcile away any meaningful tribal identities that could interrupt the expansion of global commerce.«

S. 58

Donovan kritisiert die hieraus hevorgehende Verallgemeinerung der angepassten Stromlinienförmigkeit, die ausschließlich den Interessen eines transnationalen, globalisierten Kapitalismus dient. Sein Feind ist also nicht der Fremde oder der Andere, weder der ethnische noch der religiöse Andere. Sein Feind ist derjenige, der Andersheit aus dem menschlichen Leben tilgen will. Er hält die amerikanische Freiheitsstatue für ein frühes und treffendes Symbol dieser neuen weiblichen Ethik. Sie

»… serves as an early sketch of what Americanism reinterpreted by women would feel like. The pathological altruism of the matriarchal thinker who wants to take in and nurture everyone from everywhere has come into harmony with the commercial perspective that ›everyone’s money is good.‹ The Mother of Exiles is wedded to Mammon. Together they stand against ancient identities and history as they welcome the refuse of the world into the global marketplace. Come all ye faithless, and spend!«

S. 58 f.

Man beachte die ungewöhnliche Distanz zum »amerikanischen Traum«, die sich in dieser Formulierung ausdrückt. To »welcome the refuse of the world« bedeutet, den »Abschaum der Welt« willkommen zu heißen, und bezieht sich auf die eine große Grundkonstante der amerikanischen Geschichte: die Einwanderung von Menschen, die sich ein Entkommen aus (überwiegend »alteuropäischem«) Elend und Unterdrückung erhofften und in der Neuen Welt aus eigener Kraft ein besseres, freieres Leben aufbauen wollten.

Freedom

Donovan glaubt tatsächlich nicht an den amerikanischen Grundwert der Freiheit, da dieser in seinen Augen pervertiert worden ist. Die Freiheit, die eine verweiblichte Gesellschaft anbieten kann, ist eine oberflächliche, nur scheinbare Freiheit. Sie ist nichts weiter als ein Synonym für Mamas Erlaubnis, eine »Mama-darf-ich?«-Freiheit, und damit das Gegenteil von dem, was selbstbewusste, unabhängige Männer unter Freiheit verstehen würden.

»The Mother of Exiles offers the warm freedom of the womb. The People of the Empire have been convinced that they are free. They are free to do anything but leave the Mother’s womb, to distinguish and separate themselves from The Empire – to be born. The People of the Empire have been convinced that freedom is a synonym for permission. (…) When men fight for freedom, they aren’t fighting for permission. When men fight for freedom, they are fighting for independence and self-determination. (…) When free men fight together for freedom, they are fighting for separation to establish a new collective identity. They are fighting to distinguish a new ›us‹ from and old ›us‹ which has become a tyrannical ›them‹. They are drawing a new perimeter and establishing a new order.«

S. 62

Aber diese männliche Freiheit ist Donovan zufolge an eine tribale Gruppenidentität gebunden, die im Rahmen der modernen Gesellschaft in Auflösung begriffen ist. Die männliche, nicht nach Erlaubnis fragende Freiheit ist nichts, was das Imperium seinen Untertanen zugestehen möchte. Zu groß wäre die Gefahr, dass solche Männer – und Bürger – sich nicht mehr den Erwartungen der imperialen Maschine unterordnen. Der nur scheinbar freie, tatsächlich erlaubnisgebundene Bürger muss für das Imperium hinreichend verwaltbar und daher möglichst ohne sperrige Gruppenloyalität, »individualisiert« und vereinzelt bleiben.

»The aim of the Empire of Nothing is social atomization – a splitting of groups into smaller groups, then families, then finally the individual. The individual is convinced that his individuality is a total identity, and that he is better and stronger for standing alone. (…) A man or a woman or a ›genderless person‹ alone is merely a sum of aptitudes, skills, wants and preferences. He, she or it is conveniently manageable and utterly dependent on the Empire, floating in the void of billions as a set of numbers on millions of spreadsheets.«

S. 63

Daraus zieht Donovan die Konsequenz, dass nur primordiale, kleinräumige, tribale Identitäten so etwas wie einen Widerstand gegen das Imperium ermöglichen:

»The meat grinder of universal togetherness can only be opposed by tribal separateness. Not mere subcultures, but tribes of people with exclusive identities who resist assimilation and exist as independently as possible.«

S. 65

Es sind die Identitäten moderner Barbaren. Im weiteren Verlauf des Buches skizziert Donovan daher die Grundzüge einer solchen stammesgesellschaftlichen Gegenkultur unter modernen Rahmenbedingungen. Ich werde den verbleibenden Teil von Donovans Argumentation anhand der Prinzipien zusammenfassen, die für eine solche Gegenkultur wichtig sind. Danach werde ich mich an einer alle bisher dargestellten Texte zusammenfassenden Kritik versuchen, mit der ich meine Trilogie beschließen möchte.

Die barbarische Gegenkultur

Die Prinzipien der barbarischen Gegenkultur lauten, den jeweiligen Kapitelüberschriften folgend: »Keine Tränen für Fremde«, »Moralische Gangschaltung«, »Keine Entschuldigungen, keine Argumente, keine Erklärungen« sowie – die Metapher des Barbaren vollständig ausschöpfend – »Rauben, Brandschatzen und Plündern«.

»No Tears For Strangers« entledigt sich der subjektiven Überlastung durch die Forderung einer Inklusion aller in das eigene »Wir«. Die Forderung nach einem universellen Mitgefühl wird dadurch abgewiesen, dass sie zum verdeckten Eigennutz derjenigen erklärt wird, die diese Forderung propagieren. Sie diene vor allem dem Bedürfnis weniger, sich selbst ein Gefühl der moralischen Reinheit zu verschaffen.

»That starving kid in Africa with flies on his eyes is still a stranger in some foreign shithole you’ll never go. He’s not your responsibility and the only reason you even know about him is because some group of people who would rather help exotic strangers than their own neighbours want you to give them money to continue their elaborate, self-gratifying social display of moral purity.«

S. 100

Mit diesem Vorwurf wird die Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen, dass am Zustandekommen solcher Probleme möglicherweise auch unterschiedliche Gemeinschaften verbindende Kausalzusammenhänge wie verzerrte internationale Märkte und Marktmacht mit beteiligt sind. In Donovans Verständnis dürften dies Probleme des globalisierten »Imperiums« sein, die ihn nichts angehen. Als Eimischung in fremde tribale Strukturen kritisiert er daher auch die amerikanischen Interventionen im Nahen Osten. Unabhängig von den für die offizielle Legitimation wichtigen Kategorien Diktatur und Demokratie äußert er Verständnis für die Seite derer, die zum »Gegenstand«, d.h. zum Opfer dieser Interventionen geworden sind:

»People are getting their heads sawed off by crazy-eyed jawas in the Middle East? Here’s a pro-tip, fellas. Do not go to the Middle East. You are not welcome there. They still think tribally in that part of the world, and you are not part of their tribe. They don’t play by your rules. You are not their people. You’re an outsider, and they don’t care if you live or die. You shouldn’t care if they live or die either.«

S. 100

Die Unterscheidung moralischer Zuständigkeitsbereiche nach dem »Wir« und »Die/Sie«, die hier schon anklingt, macht Donovan unter dem Begriff der »moralischen Gangschaltung« explizit. Damit ist gemeint, dass tribale Menschen zwischen zwei verschiedenen Ethiken hin- und herschalten, je nachdem, ob sie sich auf die eigene Gruppe oder auf Fremde beziehen:

»Intra-tribal morality concerns one’s moral responsibility to and within the tribe, for the good of the tribe. Inter-tribal morality concerns one tribe’s relationship with another tribe, and one’ moral responsibility to members of another tribe or to an outsider of unknown tribal affiliation.«

S. 111

»The Moral Gear Shift« entspricht präzise der Weberschen Unterscheidung von Binnenmoral und Außenmoral als Basis der archaischen Sozialethik. Weber beschreibt die

»… urwüchsigen Grundsätze sozialethischen Verhaltens, welche der ›Nachbarschaftsverband‹: die Gemeinschaft der Dorf-, Sippen-, Zunft-, Schiffahrts-, Jagdzugs-, Heereszuges-Genossen, darbot. Diese aber kannte zwei elementare Grundsätze: 1. den Dualismus der Binnen- und Außenmoral, 2. für die Binnenmoral die einfache Reziprozität: ›Wie du mir, so ich dir‹. Als ökonomischen Ausfluß dieser Grundsätze aber: das Prinzip der brüderlichen Nothilfepflicht, beschränkt auf die Binnenmoral: entgeltlose Gebrauchsleihe, zinsloses Darlehen, Gastfreiheits- und Unterstützungspflicht des Besitzenden und Vornehmen gegenüber dem Unbemittelten, unentgoltene Bittarbeit auf dem Nachbar- und ebenso auf dem Herrenhof gegen bloßen Unterhalt. (…) Dementsprechend die Beschränkung des Feilschens (bei Tausch und Leihe) und der dauernden Versklavung (z. B. als Folge von Schulden) auf die nur gegenüber dem Ungenossen geltende Außenmoral.«

Weber 1988, S. 542 f.

Während Weber aber die allmähliche Überformung und Weiterentwicklung dieser archaischen Ethik im historischen Verlauf untersucht, stellt sie für Donovan ein praktisches Ideal dar, zu dem die Menschheit zurückkehren solle. Konsequenterweise folgt für ihn aus der moralischen Inkommensurabilität des Eigenen und Fremden auch eine generelle kommunikative Inkommensurabilität: dem Fremden ist man nicht nur keine Solidarität schuldig, sondern auch keine Rechtfertigungen oder Erklärungen. Man schuldet Fremden »no apologies, no arguments, no explanations«. Das vereinfacht die Welt des Barbaren gegenüber der des universalistischen Menschen, der sich mit nicht einlösbaren Bringschulden überlastet:

»The Universalist Man must argue with and defend his ideas and actions to everyone, everywhere because he accepts everyone, everywhere as part of his tribe. He considers it barbaric to disregard the opinions or interests of anyone, anywhere. The Barbarian refuses to accept everyone, everywhere as a member of his tribe. Because he is not blinded by a doctrine of infinite inclusiveness, he recognizes that others have interests and values that are irreconcilable with his own. He is beholden to a limited number of people – to ›us‹ – and owes no explanation or justification to ›them‹. (…) Explanations and apologies to outsiders are the issue of flaccid, failing and feminine cultures.«

S. 121

Nur unter Menschen, deren Wert man in direkter Kommunikation einschätzen kann, die zur eigenen Gruppe gehören, und mit denen man einen Grundbestand gemeinsamer Interessen teilt, sind des Aufwandes von Argumentation überhaupt wert:

»Argumentation is wasted on enemies and strangers. Arguing is something you should do with people who you know and respect, because you want what is best for them and for you, and because their opinion matters to you. Argue within your circle. Fuck everyone else.«

S. 123

Und schließlich gelangt Donovan zu der für die amerikanische Kultur eher ungewöhnliche Einschätzung, dass es keine Schande sei, staatliche Unterstützung zu beziehen. Die Begründung ist simpel: der Staat ist Teil des »Imperiums«, er steht in keinem Bezug zur Gruppe des »Wir«, er ist ein Fremder. Damit überwindet er die Verachtung von Beziehern sozialstaatlicher Leistungen:

»I have no plans to personally apply for any kind of assistance from the state, but I no longer have any animosity toward men who do. I no longer see the state’s resources as my own. (…) The Empire isn’t my tribe. The government isn’t my people.«

S. 134

Mit dieser Wendung löst er eine weitere Assoziation mit dem Begriff der Barbarei ein: das finanzielle Ausbluten des Staates für den Zweck einer Unterstützung der tribalen Gruppe ist nicht moralisch anstößig. Es ist die moderne Analogie zum »loot, pillage and plunder« der früheren Barbaren:

»Accept every advantage. Exploit every opportunity. Exhaust every resource. Take everything the modern world has to offer and use it to aid your revolt and improve the future prospects of your people.«

S. 137

Ich habe den Verdacht, dass der symbolische Effekt der Aufkündigung eines amerikanischen Grundwertes hier wichtiger ist als ein praktischer Effekt dieser Empfehlung. Donovan vollzieht einen ostentativen Bruch mit Grundwerten der amerikanischen Gesellschaft.

Auch die Schlussakkorde seines Buches vollziehen diesen symbolischen Bruch. Das Titelbild von »Becoming a Barbarian« zeigt einen menschlichen Totenschädel, der in der Art eines Schamanen ein Wolfsfell mit Kopfpartie inklusive des Oberkiefers trägt, umgeben von einem Heiligenschein, der von einer kreisförmig gebogenen Wirbelsäule gebildet wird. Das ist eine Anspielung auf die soziale Verstoßungsformel des altenglischen Rechts: caput gerat lupinum , »sein Kopf sei der eines Wolfes«. Diese Verbannungsformel macht Donovan zum Ansatzpunkt einer Stigmatisierungsumkehr, die zugleich das Verhältnis von Innen und Außen umkehrt: die Außenwelt der Verstoßenen ist die neue Innenwelt, von der aus die Welt, in der das verbannende Recht gilt, dem eigenen Fremden zugeschlagen wird:

»To become a barbarian is to live outside the boundaries of the Empire’s laws and morality. (…) You will become a wolf to them. You must be willing to accept that, and wear the head of the wolf proudly and defiantly. (…) When they call you beast, a monster, an outlaw, a parasite, a criminal, a ›bad guy‹, remember that they are outsiders. They are strangers. You owe them no tears, no apologies, no excuses and no explanations. Not my people, not my problem.«

S. 151

Für Donovan steht die Welt der neuen Barbaren bereits mit einem Fuß in einem postapokalyptischen Szenario, für das er sich bei der nordischen Mythologie bedient: Zwischen Niflheim, der Welt des Eises, und Muspelheim, der Welt des Feuers liegt die Weltleere Ginnungagap, in der aus der Reaktion von Feuer und Eis der Riese Ymir entsteht. Ymir wird von Odin erschlagen, und aus seiner Leiche entsteht die neue Welt. Das ist Donovans abschließendes Bild: es sind die Barbaren, die in der übernommenen Rolle Odins aus der Leiche Ymirs, des von ihnen erschlagenen Imperiums, eine neue Welt erschaffen.

Zusammenfassung und Kritik

Wir haben nunmehr den Endpunkt von Donovans Argumentation erreicht, die in »Androphilia« mit einer Wiederaufwertung männlicher Werte und Verhaltensweisen begann, die in »The Way of Men« anthropologisch fundiert wurde und in »Becoming a Barbarian« zu einer radikalen Zivilisationskritik inklusive lebenspraktischer Ratschläge ausgebaut wurde, während die Tonlage praktisch von Kapitel zu Kapitel düsterer und apokalyptischer wurde. Dabei hatte ich zu Beginn angekündigt, Donovans Programmatik wiederbelebter Männlichkeitswerte auf die Koordinaten eines politischen Rechts-Links-Schemas abzutragen. Dies zum einen darum, weil die Männerrechtsbewegung für ihr analoges Programm, »Männlichkeit« gegen feministische Abwertungen zu verteidigen und mit einem modernisierten Eigenwert auszustatten, tatsächlich selbst als »politisch rechts« denunziert wird. Zum anderen darum, weil die Auseinandersetzung mit dieser Denunziation nicht nur in einem reinen Verteidigungsreflex erfolgen kann, sondern innerhalb der Männerrechtsbewegung selbst auf unterschiedlichen Grundlagen erfolgt, da die Selbstverortung als »links« für viele ihrer Angehörigen gar keinen Wert darstellt. In meinen Augen machen wir uns erst dann wirklich von der feministischen Denunziation unabhängig, wenn wir es zulassen, einen Bestand als »rechts« geltender Standpunkte und Werte immanent zu erörtern, d.h. ohne die vorauseilende Angst, ein Fehltritt auf schmalem Grate könne uns in die Abgründe der politischen Verdammnis stürzen. In den Augen der feministischen Ideologie sind wir dort nämlich bereits drin.

In meinen Augen lässt sich eine »linke« Programmatik unter der Voraussetzung verteidigen, dass mindestens einer signifikanten Teilmenge »rechter« Standpunkte zeitdiagnostische Qualitäten zugestanden werden, die zu Recht auf die blinden Flecken einer »linken« Selbstwahrnehmung zielen und damit einen Erkenntnisgewinn ermöglichen, der aus der immanenten Selbstkritik einer linken Perspektive allein mit zu schwachen Pointen erfolgen würde. Gegenüber Bestrebungen, aus solchen »rechten« Positionen eine eigenständige »Therapie«, also konkrete Problemlösungen abzuleiten, halte ich meine Skepsis und meine Zweifel dagegen aufrecht. Dieser Grundlinie wird meine nachstehende Argumentation folgen.

In einem ersten Schritt nehme ich dazu ein Argument des deutschen Soziologen Armin Nassehi auf, der in »Die letzte Stunde der Wahrheit« die Formel geprägt hat, dass wir (als Menschen generell) »links denken und rechts leben«. Damit löst er sich von einer Perspektive, die die Wertung von »links« und »rechts« im Sinne von »progressiv« und »rückständig« versteht und rückt sie in einen Kontext, in dem sie als komplementäre Prinzipien des Lebens aufgefasst werden können, die einer beständigen gegenseitigen Ausbalancierung bedürfen. Ist diese Balance gestört, können in beide Richtungen totalitäre Vereinseitigungen entstehen.

In einem zweiten Schritt argumentiere ich, dass die große Schwäche von Donovans Argumentation darin besteht, eine Dichotomie von Anthropologie und Geschichte sowie von Gemeinschaft und Gesellschaft zu konstruieren, die den historischen Zivilisations prozess ausklammert und sich darum in Aporien verstrickt, die sein Modell nicht auflösen kann.

Links reden und rechts leben

Nassehis Vorschlag, die Unterscheidung zwischen »Linken« und »Rechten« neu zu fassen ist die

»Formel, dass wir links reden und rechts leben – was bedeutet: dass die intellektuelle Beschreibung schon deshalb, weil sie mit einem weißen Blatt Papier beginnen kann, sich leichttut, universalistische Argumente zu formulieren, sich die Welt aus einem Guss vorzustellen oder sie in einer bestimmten Weise für umbaufähig zu halten, ergo: eher links zu sein. Die konkrete Lebenspraxis dagegen folgt genau dieser Logik nicht und ist eher partikularistisch, gebrochen durch Unübersichtlichkeiten, Zugehörigkeiten und alltagstaugliche Stereotype, also eher rechts«

Nassehi 2015, S. 16

Dass dieses »rechte Leben« nicht einfach eine Eigenschaft der politischen Rechten ist, sondern sich auch auf Liberale erstreckt, illustriert Nassehi damit, dass auch Liberale eine strenge, strikte Unterscheidung zwischen dem »Wir« und »Denen« treffen, sobald es die eigene Familie und das soziale Nahfeld betrifft:

»Man denke etwa daran, wie sehr gerade liberale Milieus soziale Brennpunkte meiden, wie gerade junge Familien darauf achten, dass ihre Kinder in schicht- und kulturadäquaten Umfeldern beschult werden. (…) Zugleich paaren sich islamophobe Reaktionen gerade bei den Wohlsituierten sehr gut mit einer merkwürdigen Toleranz für gewaltnahe, frauenfeindliche und islamistische Tendenzen in problematischen Migrantencommunitys – man ist tolerant, weil es eben auch eine ›Kultur‹ ist, aber auch nur, weil man es nicht vor der eigenen Haustür findet, sondern nur aus den Medien kennt. Latent rechts daran ist, dass solch falsch verstandene Toleranz und solches mit dem Argument der ›Kultur‹ befeuertes Verständnis Migranten nur nach ihrer Gruppenzugehörigkeit und Herkunft beurteilen kann. (…) Vielleicht sind die toleranten Heuchler ebenso schlimme Rassisten wie die wirklich Rechten, weil auch sie nicht aus dem Schema der Gruppenidentität herauskommen.«

Nassehi 2015, S. 53 f.

Das ist in einer ersten Hinsicht ein (durchaus berechtigter) Vorwurf der Doppelmoral. Nassehi zieht daraus aber nicht die Konsequenz, sozusagen zu einer Verschärfung der moralischen Wachsamkeit und zu höherer Prinzipientreue aufzurufen, sondern er ist der Meinung, dass wir im Großen und Ganzen gar nicht anders können als auf diese Weise zu leben. Eine um subjektive Standpunkte zentrierte Lebenswelt mit anthropozentrischer und ethnozentrischer Perspektive ist Teil unserer anthropologischen Verfassung, und was immer wir im Verlauf des Zivilisationsprozesses an Abstraktionen und Verallgemeinerungen bis hin zu universalistischen Werten hinzulernen, kann die partikularistische Brechung des sozialen Nahbereichs, in dem wir persönliche und unmittelbare Verantwortung für uns selbst und andere tragen, nicht vollständig aufheben. Das macht das von Armin Mohler im obigen Zitat kritisierte Individuum des Liberalismus zwar noch nicht, wie er glaubt, zu einer Illusion, wohl aber zu einer regulativen Idee, an die nur Annäherungen möglich sind und die auch ein gewisses Maß an Nachsicht verlangt, das zu verweigern Tugendterror wäre.

Die Kritik der Rechten, inklusive die von Jack Donovan, beanstandet in diesem Sinne eine Überforderung konkreter Lebensverhältnisse durch falsche oder schlechte ideologische Abstraktionen, die in Staat und Wirtschaft, in linker und liberaler Politik gleichermaßen, alle maßgeblichen Weichenstellungen anleiten. Unser Durchgang durch Donovans Schriften hat meines Erachtens auch gezeigt, dass diese Kritik mindestens eine überzeugende Ad-hoc-Plausibilität beanspruchen kann. Man kann sie als eine Form des klassischen Konservatismus betrachten. Wenn das aber alles ist, was die politische »Rechte« ausmacht, was hat dann – diesseits der allfälligen publizistischen Nazikeulen – die Linke an der Rechten eigentlich zu beanstanden? Handelt es sich um ein Mißverständnis oder, wie der Linken vorgeworfen wird, tatsächlich einfach um ideologische Verblendung? Ich denke, dass es gute und systematische Gründe gibt, warum auch eine (selbst)kritische Linke – also eine solche, die die Wendung zur postmodernen Linken nicht mitgemacht hat – »rechten« analytischen Kategorien und politischen Konzepten weiterhin misstraut. Solche Gründe möchte ich im Folgenden entwickeln.

Gemeinschaft und Gesellschaft

Im Hinblick auf Donovans Gegenüberstellung der abstrakten Vergesellschaftungsform des »Imperiums« gegen die konkrete Vergesellschaftungsform des »Stammes«, die – mehr oder weniger – auch den ansatzweise vorgestellten Kritiken der Neuen Rechten entspricht, scheint es mir sinnvoll, am Begriffsgegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft anzusetzen. Dem soziologisch gebildeten Leser wird sogleich auffallen, dass dies kein beliebiges Begriffspaar ist. »Gemeinschaft und Gesellschaft« ist der Titel eines maßgeblichen Klassikers der Soziologie, veröffentlicht von Ferdinand Tönnies im Jahre 1887. (vgl. Tönnies 1979) Die in dieser Schrift entwickelte Problematik findet sich der Sache nach auch bei anderen Gründungsvätern der Soziologie wieder, so bei Karl Marx, Emile Durkheim und Max Weber. Mit einigem Recht kann man die Frage nach dem Verhältnis von »Gemeinschaft« und »Gesellschaft« als die »Mutter aller soziologischen Problemstellungen« auffassen. Sie ist gewissermaßen diejenige Problemstellung, die allererst zur Entstehung der Soziologie als einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin geführt hat.

Das hat mit ihrem Entstehungskontext zu tun. Bis zum Zeitalter der Religionskriege in der frühen Neuzeit galten die irdischen Gesellschaftsordnungen als gottgegeben und nicht hinterfragbar. Es konnte Abweichungen von der rechten Ordnung geben, und alle Maßnahmen zur Behebung von Mißständen dienten einer erneuten Annäherung an diese Ordnung. Der Staat und die Gesellschaft als Ganze wurde, so noch bei Jean Bodin, in Analogie zur patriarchal geordneten Familie gedacht. Die kleinste soziale Zelle des Gesellschaftskörpers diente auch als Modell des gesamten Verbandes sozialer Zellen. Mit den Religionskriegen seit der Reformation war der Glaube an eine gottgegebene Ordnung erschüttert, da es nun mehrere konkurrierende Modelle einer solchen gottgewollten Ordnung gab, die miteinander in blutigem Konflikt lagen. Das Zustandekommen von Gesellschaft, von friedlichem Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Basiseinheiten, konnte nicht mehr als evident und selbstverständlich, nicht mehr als zwanglose Extension gemeinschaftlicher Beziehungen gelten.

In Antwort auf dieses Problem entstanden die Naturrechtslehren und Vertragstheorien der Barockzeit, die das Bestehen von Gesellschaft unter kontingente Voraussetzungen stellten. Und mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft und der industriekapitalistischen Produktionsweise setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine Gesellschaft nicht nur durch direkte Kommunikationsbeziehungen zwischen Menschen zusammengehalten wird, sondern auch durch abstrakte, unpersönliche Mechanismen wie den Geldverkehr. »Gesellschaft« wurde derjenige Teil menschlicher Beziehungen genannt, der sich nicht mehr unmittelbar aus einer Kommunikation unter Anwesenden herleiten ließ und einander völlig Fremde in eine (symmetrische oder asymmetrische) Abhängigkeitsbeziehung bringen konnte. Tönnies definiert »Gemeinschaft« wie folgt:

»Die Theorie der Gemeinschaft geht … von der vollkommenen Einheit menschlicher Willen als einem ursprünglichen oder natürlichen Zustande aus … . Die allgemeine Wurzel dieser Verhältnisse ist der Zusammenhang des vegetativen Lebens durch die Geburt; die Tatsache, daß menschliche Willen, insofern als jeder einer leiblichen Konstitution entspricht, durch Abstammung und Geschlecht miteinander verbunden sind und bleiben, oder notwendigerweise werden … nämlich 1. durch das Verhältnis zwischen einer Mutter und ihrem Kinde; 2. durch das Verhältnis zwischen Mann und Weib als Gatten, … 3. zwischen den Geschwistern, d. i. zum wenigsten als Sprossen desselben mütterlichen Leibes sich Kennenden.«

Tönnies 1979, S. 7

Die Definition von »Gesellschaft« lautet demgegenüber:

»Die Theorie der Gesellschaft konstruiert einen Kreis von Menschen, welche, wie in Gemeinschaft, auf friedliche Art nebeneinander leben und wohnen, aber nicht wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind … . (H)ier ist ein jeder für sich allein, und im Zustande der Spannung gegen alle übrigen. (…) Solche negative Haltung ist das normale und immer zugrundeliegende Verhältnis dieser Macht-Subjekte gegeneinander, und bezeichnet die Gesellschaft im Zustande der Ruhe. Keiner wird für den anderen etwas tun oder leisten, keiner dem anderen etwas gönnen und geben wollen, es sei denn um einer Gegenleistung oder Gegengabe willen, welche er seinem Gegebenen wenigstens gleich achtet.«

Tönnies 1979, S. 34

»Gemeinschaften« sind also sozusagen »naturwüchsig«, sie gehen aus den biologisch vorgegebenen Beziehungen unmittelbar hervor und geben ihnen eine kulturell gedeutete Form. Die menschliche Kultur beginnt mit gemeinschaftlichen Kleingruppen als einziger existierender Sozialform. Sie sind gewissermaßen das Endprodukt der Evolution zum Menschen, an ihre Bedingungen sind die menschlichen kognitiven Fähigkeiten angepasst. »Gesellschaften« sind demgegenüber zunächst überhaupt nicht existent. Sie beginnen zu entstehen, wenn mehrere tribale Gemeinschaften dauerhaft ein gemeinsames Territorium bewohnen und ihre Beziehungen untereinander auf friedliche Weise zu regeln vermögen. Die Grundfrage der Soziologie lautet nun: wie sind Gesellschaften möglich, obwohl sie weder natürlich noch selbstverständlich sind?

Sprache und Interaktionsmedien

Eine pointierte Antwort könnte lauten: weil sich Gesellschaften im Unterschied zu Gemeinschaften gleichsam aus dem Nichts erschaffen lassen, ohne einer zusätzlichen biologischen Grundlage zu bedürfen. Der Grundgedanke des Sozialkonstruktivismus ist kein Irrtum. Wann immer eine Gruppe von Menschen sich darauf einigt, eine Aussage über die Welt als wahr, eine Realität als existierend zu betrachten, tritt diese Realität in Existenz. Als soziale Tatsache ist sie wirklich, auch wenn ihr Bezug zur Welt der objektiven Tatsachen unscharf oder sogar fraglich ist. Zwar darf ein Mindestmaß an Anpassung an die objektive Welt nicht unterschritten werden, aber über dieses Maß hinaus hat der Mensch erhebliche Spielräume bei der Herstellung sozialer oder »institutioneller Tatsachen«. Dieser Spielraum entsteht durch die Abkoppelung von Antrieben und Handlungen und ist von Arnold Gehlen als Hiatus bezeichnet worden:

»Wenn wir also einen Antrieb, ein Bedürfnis fühlen, so liegt, es zu fühlen, nicht in unserer Macht. Aber es zu befriedigen oder nicht, das liegt in unserer Macht (…) . Die Handlungen müssen also ›abhängbar‹ sein von den Antrieben, es muß ein Hiatus geschaffen werden, denn die ersteren brauchen ihre Zeiten und Gelegenheiten, um sachgemäß, überlegt, verbesserbar und wiederholbar sein zu können. (…) Daß also Kultur nicht nur tragbar, sondern lebensnotwendig ist, ist angelegt im Menschen und zuletzt in diesem Hiatus , der Abtrennbarkeit der Handlung von den Antrieben, als der Bedingung der Existenz für ein so beschaffenes Wesen.«

Gehlen 2014, S. 335

Der Schlüssel zu diesen Spielräumen ist die menschliche Sprache. John Searle verweist auf die

»… unendliche Generativität natürlicher Sprachen. Sobald bestimmte Regeln gegeben sind – beispielsweise die Regel für die Bildung von Relativsätzen oder die Regel für das Einsetzen von Konjunktionen -, kann man strenggenommen unendlich viele Sätze erhalten. (…) Die Möglichkeit unendlich vieler neuer Sätze schafft die Möglichkeit, unendlich viele neue Gedanken, neue semantische Inhalte zum Ausdruck zu bringen.«

Searle 2012, S. 111

Diese Flexibilität und Offenheit der menschlichen Sprache gestattet es, per sozialer Konvention Objekte zu erschaffen, die allein als kollektiv geteilter Sinn existieren, der sich gegen die Welt der objektiven Tatsachen richten und diese, vermittelt über Handlungen, auch verändern kann. Solche sinnhaften »Objekte« sind von dem Zwang entlastet, unmittelbar der Welt angepasst sein zu müssen und gewinnen dadurch die Möglichkeit, die Welt an sich anzupassen. Die Herstellung einer Konvention ist in ein schöpferischer Akt, der diesen Typ von Objekt hervorbringt. Er ist der Kern dessen, was »soziale Konstruktion« genannt wird:

»Alle institutionelle Tatsachen werden … durch die gleiche logische Operation geschaffen: Es wird eine Realität geschaffen, indem man sie als existierende repräsentiert.«

Searle 2012, S. 159

Die Existenz symbolisierter Realitäten ermöglicht aber auch die Auskoppelung von Regeln und Institutionen aus Situationen der »Kopräsenz«, der gemeinsamen Anwesenheit. Regeln und Institutionen, die auf diese Weise über den Horizont der Gemeinschaft hinausreichen, sind nicht mehr an die physische Gegenwart der Beteiligten gebunden, sondern rein symbolisch vermittelt. Zugleich sind sie brüchiger und voraussetzungsvoller als die gemeinschaftlichen Beziehungen. Sie operieren allein im Medium der gesprochenen, geschriebenen und bildhaften Sprache. Es ist die Sprachbegabung des Menschen, die diese erweiterte Form der Kommunikation ermöglicht, welche zur »Gesellschaft« führt. Diese Art der Kommunikation wurde in der Soziologie mit dem sperrigen Begriff der »symbolisch generalisierten Interaktionsmedien« bezeichnet (vgl. Parsons 1980). Geld ist ein solches generalisiertes Interaktionsmedium, ob als Aureus mit dem Gesicht des Kaisers oder als Papiergeld mit der Unterschrift Mario Draghis, aber auch politische und militärische Macht, die stellvertretend durch ihre Symbole ausgeübt wird: vom Relief des Feinde erschlagenden Pharaos über das römische Liktorenbündel bis zur Dienstmarke des Polizeibeamten.

Rasse und Kultur

Was bezwecke ich mit diesen grundsätzlichen und etwas umständlichen Ausführungen? Jack Donovan schreibt nicht nur Bücher und führt einen Blog, sondern er hält auch Vorträge. Manchmal hält er Vorträge bei Veranstaltungen des »American Renaissance«-Magazins, das von Jared Taylor geleitet wird, einem modernen Vertreter von Rassentheorien. Taylor hat seine rassentheoretischen Ansichten in dem Buch White Identity. Racial Consciousness in the 21st Century (vgl. Taylor 2011) dargelegt, und ich nehme sie als Beispiel für eine politische Theorie der Neuen Rechten, an der sich darlegen lässt, auf welche Weise auf dieser Seite des politischen Spektrums der Boden des wissenschaftlich Tragfähigen verlassen wird.

Es ist hier nicht der Raum, um Taylors Buch umfassend zu rezensieren. Ich beschränke mich daher darauf, zu konstatieren, was ich für die Hauptschwäche seiner Argumentation halte. Taylor beschreibt unter anderem den Sachverhalt, dass die ethnischen bzw. »rassischen« (dem englischen »racial« fehlt die harte Assoziation mit Nazi-Vokabular) Milieus eine hohe interne Kohärenz aufweisen, während sie dazu neigen, sich gegen andere »rassische« Milieus abzugrenzen – in den USA betrifft das Weiße, Schwarze, »Hispanics« und Asiaten und ein eigenes milieutypisches (»racial«) Bewusstsein ausbilden. Das stellt auch Donovan fest, wenn er sagt, dass jede amerikanische Ethnie über ein ausgeprägtes ethnisches Bewusstsein verfügt – mit Ausnahme der Weißen, bei denen dies als »Rassismus« verpönt ist. Die Frage ist jedoch, wie Taylor diesen Sachverhalt erklären möchte.

Taylor zählt eine Reihe von Untersuchungen auf – umstrittene und weniger umstrittene – die besagen, dass das Erkennen rassischer Unterschiede und die entsprechende Selbst- und Fremdzuordnung von Individuen zur angeborenen Ausstattung des Menschen gehört und dass es eine angeborene Disposition zum »ethnischen Nepotismus« gibt, die einen Beitrag zur Schließung von In-Groups auf Basis rassischer Zugehörigkeit leistet. Das schließt Akzeptanzprobleme »gemischtrassischer« Individuen ein, die unter Jugendlichen (die sich in einer kritischen Phase des Aufwachsens befinden) noch einmal verstärkt auftreten. Er verteidigt solche Befunde mit evolutionsbiologischen und evolutionspsychologischen Argumenten als erwartbar. Darin ähnelt sein Argument demjenigen, das biologische Dispositionen zu geschlechtstypischem Verhalten konstatiert. Er folgert daraus einen »need for racial identity« (Taylor 2011, S. 123 ff.). Damit wechselt er von der deskriptiven auf die normative Ebene und macht Annahmen über Ursache und Wirkung, die sich nicht mehr aufrechterhalten lassen:

Es ist ein Unterschied, ob eine staatliche Instanz ethnische Homogenität verordnet und aktiv herbeiführt oder ob der betreffende Staat die Wahl der Zugehörigkeit seinen Bürgern überlässt und ansonsten an der Herstellung von fairen Rahmenbedingungen und Chancengleichheit arbeitet. Die von Taylor beklagte Schwäche der »weißen Identität« lässt sich alternativ auch mit der im Schnitt besseren Stellung der Weißen in der sozioökonomischen Schichtung der USA erklären. Je weniger Selbstachtung und Stolz aus einem erfolgreichen Berufsleben bezogen werden kann, desto eher dienen rassische und religiöse Identitäten als ersatzweise Quellen von Selbstbewusstsein, und je mehr dies der Fall ist, desto schwächer kann die ethnische Identität ausfallen. Aus demselben Grund ist das Bedürfnis nach einer weißen Identität bei sozial schlechter gestellten Weißen stärker ausgeprägt. Taylors systematischer Fehler besteht darin, solche Identitäten nicht als Folge einer sozioökonomischen Differenzierung in Betracht zu ziehen anstatt als ihre Ursache. Die These, dass der Mensch eine evolutionär bedingte Neigung zu ethnozentrischen Perspektiven hat, ist ohne Weiteres plausibel. Aber die Behauptung, dass diese Tendenzen nicht durch günstige sozioökonomische Rahmenbedingungen ausgeglichen werden können, ist willkürlich und unbelegt. Einer der hinsichtlich multiethnischer Integration erfolgreichsten Staaten war die Sowjetunion. Als ökonomische Entwicklungsdiktatur hat sie sich mit beachtlichen Erfolgen um eine Angleichung der Lebensverhältnisse in ihren ethnisch unterschiedenen Regionen bemüht. Dass sie im Vergleich zu den westlichen Nationen insgesamt ineffizient gewesen ist, tut den internen Nivellierungseffekten keinen Abbruch. Virulente Bruchstellen wie in der Westukraine und im Baltikum befanden sich an Punkten eher geringer ethnischer Differenz und waren besonderen historischen Rahmenbedingungen geschuldet. Das Wiederaufleben nationalistischer Tendenzen nach dem Ende der Sowjetunion kann man außerdem, in Analogie zur nationalistischen Wende Slobodan Miloševićs, auch als Effekt einer Mobilisierung durch die jeweiligen Eliten erklären.

Dass es plausiblerweise eine natürliche Tendenz zu ethnisch basierter Identität gibt, bedeutet nicht, dass entwickelte und gut funktionierende Institutionen, die auf nicht-ethnischen Grundlagen beruhen, nicht ein vollwertiges Substitut für ethnische Identitätsanteile darstellen können. Das ist nicht erst in der Moderne der Fall. Der römische Staat hat es jahrhundertelang verstanden, über den Mechanismus der Elitenkooptation in die lateinische »Leitkultur« ethnisch äußerst unterschiedliche Völkerschaften zu integrieren. Jack Donovan hat diese Identitäten der Oberflächlichkeit geziehen, aber das ist eher eine polemische als eine historisch fundierte Behauptung. Als das Römische Reich »identitär« wurde, erfolgte dies entlang dogmatisch-religiöser Unterscheidungen, die zwar über unterschiedliche Sprachen (Lateinisch, Griechisch, Syrisch, Koptisch) an regionale Kommunikationsräume gekoppelt waren, nicht aber an Ethnien im biologischen Sinne. Auch die sogenannten »Stämme« der Völkerwanderungszeit waren in vielen Fällen ethnisch äußerst heterogen zusammengesetzt (asiatische Gruppen inbegriffen) und bedienten sich der Stammesnamen als durch Beitritt angenommener Identität.

An dieser Stelle sollten Sinn und Zweck meiner obigen Darstellung des sozialkonstruktivistischen Ansatzes ersichtlich geworden sein. Über welche biologischen Dispositionen auch immer der Mensch noch verfügt – sie wirken weder bewusstlos noch deterministisch. Auch noch das überwältigende Erblühen der menschlichen Sexualtriebe im Frühjahr erfolgt nicht blind und automatenhaft, sondern wird im Bild einer Fruchtbarkeitsgottheit symbolisch eingefasst und rituell gefeiert. Auch schon in archaischen Gesellschaften müssen Dispositionen durch das Medium der symbolischen Interpretation hindurch, die sich zu diesen Dispositionen affirmativ verhalten kann, aber nicht muss. Wenn wir von biologischen Dispositionen reden, müssen wir uns klar machen, dass diese stets an eine Kundgabe, an eine Selbstauskunft über persönliche Neigungen gebunden sind. Zwischen ihrer internen Wirksamkeit und ihrer Umsetzung in Handeln liegt der Gehlensche Hiatus, die Entkopplung von Antrieb und Handeln. »Kultur« ist in der Handlung immer schon anwesend. Und in der Festlegung des Handelns nach einem Zwischenstadium der Kommunikation und Reflexion findet das statt, was wir »soziale Konstruktion« nennen. Zu den Merkmalen dieser sozialen Konstruktion gehört, dass sie sich nicht zwangsläufig in Konkordanz mit Antrieben befinden muss, sie also sozusagen nur »ausformt«, sondern dazu gegenläufig sein kann. Auf der anderen Seite sind die Antriebe als Dispositionen stets präsent und nötigen dem Individuum Aufmerksamkeit und sozusagen »Arbeit« ab. Auch wenn sich eine Verhaltensweise zu den Antrieben gegenläufig festlegen lässt, so kostet dies das Individuum einen inneren Kraftaufwand, der über das Maß seines subjektiv empfundenen »Glücks« entscheidet. »Glück« ist, mit seinen Antrieben und Dispositionen in Einklang zu leben. Aber welchen Anteil die biologischen Dispositionen an der Persönlichkeit eines Menschen haben, hängt letztlich von der Größe und Dichte des symbolischen Universums ab, an dem er teilzuhaben vermag – das heißt, vom Reichtum seiner Bildung.

Ist der Verweis auf ein biologisches Fundament individuellen Verhaltens noch empirisch solide, so ist der Versuch, biologische Grundlagen zum Fundament von Großgruppen zu machen, nicht mehr haltbar. Die Bindung von kleinräumigen Gemeinschaften an biologische Faktoren ist noch plausibel, die ethnische oder rassische Fundierung von Gesellschaften nicht mehr. Gesellschaften sind das ausschließliche Reich kultureller Institutionen. Erst, wenn die gesellschaftlichen Integrationskräfte aus welchen historischen Gründen auch immer erschöpft sind, machen sich ethnische Identitäten gleichsam als »Rückfalllösungen« bemerkbar. Nichts anderes vollzieht auch Donovan: sein Standpunkt gründet auf dem expliziten Exodus aus dem »Imperium«, dessen Integrationsverfahren er – mit durchaus guten Gründen – nicht mehr vertraut. Donovan selbst ist vielleicht das beste Beispiel dafür, dass die ethnisch homogene Kleingruppe, dessen Loblied er singt, eine gewählte und keine geerbte Identität ist.

Wir finden auf der politischen Rechten also ein Problem, das sich zu dem der politischen Linken spiegelbildlich verhält. Ist das Problem und die Versuchung der Linken die überreizte Abstraktion, so ist das Problem und die Versuchung der Rechten die überreizte Substanz. Ist auf der Linken die Idee von der vollständigen Kulturalisierung der anthropologischen Basis des Menschen, und zwar insbesondere in Bezug auf das Geschlecht, wissenschaftlich nicht haltbar, so ist auf der Rechten die These von der biologischen Fundierung der Großkollektive, des Gesellschaftlichen, wissenschaftlich nicht haltbar. Gesellschaft lässt sich nicht ausschließlich kulturell auf Gemeinschaft herunterbrechen, und von Gemeinschaft lässt sich nicht auf biologischem Wege auf Gesellschaft hochskalieren. In beiden Fällen ist der Grund dafür derselbe: Natur und Kultur des Menschen sind bereits auf der Ebene der Gemeinschaftsbildung miteinander verkoppelt. Kultur ist konstitutiv, Natur ist nicht tilgbar

Von diesem Einwand ist auch der oben bereits erwähnte Vorwurf Martin Kleine-Hartlages an die Aufklärung betroffen. Aufklärung ignoriere »die naturhafte Seite des Menschen, sein Geschöpfsein« (Kleine-Hartlage 2013, S. 58) und opfere sie einem Planungsoptimismus:

»Wenn Gesellschaft aber planbar ist, wie die Aufklärung unterstellt, dann spricht vom aufklärerischen Standpunkt nichts dagegen, die Schaffung einer Gesellschaft auf die Tagesordnung zu setzen, in der alle Menschen im umfassendsten Sinne frei von jeglichem Zwang sind – insbesondere frei von Bindungen, Pflichten und Erwartungen, ja sogar von ihrer eigenen menschlichen Natur. Da diese ›Zwänge‹ freilich die … lästige Kehrseite der Existenz von Solidargemeinschaften und überhaupt einer zivilisierten Gesellschaft sind, tendiert das aufklärerische Paradigma, das nur ihren repressiven Aspekt wahrnehmen kann, dazu, die Voraussetzungen von Gesellschaft überhaupt zu untergraben.«

Kleine-Hartlage 2013, S. 209

Hier muss der Begriff der Aufklärung für etwas herhalten, das er nicht mehr ist: zur Aufklärung gehören nicht nur politisch-utopische Überspannungen und postmoderne philosophische Moden, bei denen man sich ohnehin fragen kann, ob es sich nicht eher um Spielarten einer Gegenaufklärung handelt, sondern eben auch die Grundlagen der Wissenschaft und des rationalen Denkens selbst. Was Kleine-Hartlage hier kritisiert, ist die klassische Vernunftaufklärung vor ihrer skeptischen Brechung an der Erfahrung des Totalitarismus. In die soziologische Aufklärung (um die von Niklas Luhmann geprägte Vokabel aufzugreifen) hat diese skeptische Brechung jedoch bereits Eingang gefunden:

»Vor allem zwei zentrale Prämissen der Vernunftaufklärung sind der Soziologie verdächtig geworden: Die gleiche Beteiligung aller Menschen an einer gemeinsamen Vernunft, die sie ohne weitere institutionelle Vermittlung besitzen, und der erfolgssichere Optimismus in Bezug auf die Herstellbarkeit richtiger Zustände. (…) Soziologie ist nicht angewandte, sondern abgeklärte Aufklärung; sie ist der Versuch, der Aufklärung ihre Grenzen zu gewinnen.«

Luhmann 2009, S. 84 f.

Kleine-Hartlages Idee, man müsse einen unreflektierten Bereich historisch gewachsener Gesellschaft vor »zu viel Aufklärung« bewahren, verfehlt daher die wesentliche Pointe: nicht zu viel Aufklärung, sondern sich selbst nicht reflektierende, sich nicht über sich selbst aufklärende Aufklärung führt in die utopische Überspannung. Die Bedeutung von stabilen Handlungsroutinen und Institutionen wird ja insbesondere von der Soziologie erkannt und berücksichtigt. Seiner Annahme liegt auch ein historisches Fehlurteil zugrunde: nicht erst die Aufklärung hat das »Geschöpfsein« des Menschen problematisiert – auch in den historischen Religionen ist das bereits regelmäßig der Fall gewesen, man schaue sich nur die asketischen Übungen buddhistischer Mönche, hinduistischer Gurus oder christlicher Einsiedler in der ägyptischen Wüste an, die mit einer zum Teil fanatischen Gewalt die Natur des Menschen zu beherrschen und zu transformieren versuchten. Was »menschliche Natur« sei, wurde gerade im Namen der Religion immer wieder von neuem der Gestaltung unterworfen, und jede dieser religiösen Kulturrevolutionen hat nicht nur eine neue Ethik, sondern auch einen »Neuen Menschen« hervorgebracht

Auf dieser Grundlage kann ich nun daran gehen, mich an einer Einschätzung von Jack Donovan zu versuchen. Was ist »rechts« an Donovan? »Rechts« ist seine Verwendung der Identitätsidee als primärem Grundbegriff. Was wäre demgegenüber »links«? »Links« wäre die Verwendung des Emanzipationsbegriffs. »Emanzipation« schließt Identität nicht aus, im Gegenteil: der Emanzipationsbegriff ist der Identitätsbegriff, jedoch in historische Bewegung versetzt. Denn »rechts« wird der Identitätsbegriff erst dadurch, dass er dafür in Anspruch genommen wird, unwandelbare anthropologische Konstanten zum Wesen des Menschen und seiner Gesellschaften zu erklären. Wir haben skizziert, dass eine solche Behauptung mit kulturanthropologischen Befunden nicht vereinbar ist. Es gibt solche anthropologischen Konstanten, aber zu ihnen gehört paradoxerweise die menschliche Fähigkeit zur und Angewiesenheit auf »Kultur«, welche impliziert, dass auch die vermeintlich unwandelbaren Grundlagen von Identität einer historischen Drift unterliegen und reflexiv, das heißt aufklärerisch, zugänglich gemacht werden können. »Emanzipation« ist daher durch Akkumulation von Kultur wachsende Identität. Donovans Rückgang auf die barbarische Identität hat diesen historischen Aspekt eliminiert. Der Kampf für eine Reform der Institutionen des »Imperiums« ist für ihn keine Option. Sein Modell bedarf des vorgängigen Abbruchs des »Imperiums« und der Zivilisation, das heißt: bedarf der Apokalypse. Darin ähnelt er einem weiteren Vertreter der Neuen Rechten, Guillaume Faye, den er tatsächlich kennt und auf seinem Blog wohlwollend rezensiert hat [Edit 19.12.2022: der Artikel existiert nur noch als Reblog auf Counter Currents].

Fayes 2004 erschienenes Werk »La convergence des catastrophes« (ich verwende die englische Übersetzung) könnte man als das Johannesevangelium der Neuen Rechten bezeichnen. Faye verdichtet darin Darstellungen des ökologischen Kollaps, des Kampfes der Zivilisationen, eines europäischen Chaos und einer finalen globalen Wirtschaftskrise zu einem apokalyptischen Bild, jenseits dessen er ein »neues Mittelalter« heraufziehen sieht. Er erwägt drei Varianten dieses Kollaps, eine weiche, eine harte und eine »sehr harte«. Diese sehr harte Variante, die einen Zusammenbruch der Weltbevölkerung auf 300 Millionen bis zur Mitte(!) des 21. Jahrhunderts, einen Zusammenbruch der Städte und Nationen, eine vollständige Deindustrialisierung einschließt, »is the most likely and perhaps the most desirable.« (Faye 2012, S. 207) Zuvor, im Jahre 1998, hatte Faye »L’Archéofuturisme« (engl. »Archeofuturism«) veröffentlicht, das man in der Art, wie der Autor Vergangenheit und Zukunft zusammenschließen möchte, vielleicht als Neuadaption des Gedankens einer »Konservativen Revolution« deuten kann.  Auch wenn ich keinen direkten Beleg anführen kann, habe ich doch den deutlichen Eindruck, dass Donovans eigene düstere Apokalyptik in »Becoming a Barbarian« von einer Lektüre Fayes geprägt ist.

Donovans Dichotomie von Barbarei und Zivilisation eliminiert die Geschichte und in seinem Modell wäre der Mensch, sollten sich seine apokalyptischen Erwartungen erfüllen, dazu gezwungen, sie zu wiederholen. Sein Primitivismus ist paradoxerweise ein künstlicher Primitivismus, denn er selbst ist ungeachtet aller Selbstinszenierung das Gegenteil eines Barbaren: er ist belesen, verfügt über eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und Artikulationsfähigkeit, und er ist reflektiert und feinfühlig. Er verfügt mithin über alles das, was einem »echten« Barbaren fehlen würde: Bildung. Die Aporie seines Denkens besteht darin, dass er den Barbaren mit dem gesamten Reflexionsvermögen eines zivilisierten Menschen deklariert. Auch sein Verhältnis zur »White Identity«-Bewegung, das er in »A Sky Without Eagles« erläutert, ist nicht frei von ironischen Untertönen. Er nennt sie die »Mighty Whites«, die »ganz schön Weißen«, einer eher kritisch gemeinten und auf Vorurteile bezogenen Formulierung, er konstatiert, dass auch diese Leute eigene »noble Lügen« pflegen, und er besteht darauf, dass für ihn ein weißer Suprematismus nicht in Frage kommt:

»I am not a white supremacist. I don’t feel the need to prove that my team is objectively better in every way than every other team. (…) The point is that white people are my people. We’re an ethnic and racial group with a common heritage. (…) I’m pro-white because I am pro-me. I’m pro-my family. I’m in favor of remembering my ancestors in a positive light. (…) I believe that people should form groups that suit them and exclude others if they believe it is in their benefit to do so. On that note, I can tell you that not all of the Mighty Whites want me around. Every so often, some hysterical prig sallies forth from his Arthurian fap den to proclaim me a he-man women hater, a Satanist, a sodomite, and a threat to the cause. I’m flattered that they think I’m big enough deal to sink their battleship, but if that’s the case, they are already well and truly fucked. I am pro-white and I support WNs because I’m white and because I think they are right about a lot of things – not because I expect them all to send me love letters. (…) I am pro-white, but race is not my favorite issue to write about. (…) My work is about men. It’s about understanding masculinity and the plight of men in the modern world. It’s about what all men have in common.«

Sky, S. 54 f.

Was kann Jack Donovan der Männerrechtsbewegung bieten? Kann er ihr etwas bieten? Ich finde ihn, bezogen auf die Gesamtheit seiner Schriften, dort stark, wo er Männer dazu auffordert und ermuntert, sich eine männliche Identität ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Verachtung des Mannes und vor allem ohne Rücksicht auf weibliche und feministische Erwartungen an männliches Verhalten zu erarbeiten. Hier ist der Begriff der »Androphilie« ein Schlüsselbegriff, weil damit nicht einfach nur die homosexuelle Position einer Liebe zu Männern benannt wird, sondern auch eine für »Heteros« brauchbare »Liebe zur Männlichkeit«. Allein die Einführung dieses Begriffs ist bereits verdienstvoll. Für ebenfalls verdienstvoll halte ich die in »The Way of Men« unternommene Aufwertung der Idee der »männlichen Gang«. Auch das ist eine Vorstellung, die sich von der feministischen Stigmatisierung zu befreien lohnt. An beiden Ideen können sich Männer orientieren, die sich des Dauerverdachts gegen ihr Geschlecht und ihre typischen Verhaltensmuster entledigen möchten. Diesen Ideen kann man sich auch dann anschließen, wenn man der düsteren Apokalyptik in »Becoming a Barbarian« nicht folgen möchte. Ich habe dargelegt, warum meiner Meinung nach Donovans »Formel« in diesem Fall nicht aufgeht. Wenn Armin Nassehis Formel triftig ist, dann leben auch Männer tendenziell eher »rechts«, und darum kann in einer Lektüre von Donovans Schriften ein Gewinn liegen. Ebenso impliziert diese Formel aber auch, dass, sobald es ans Denken geht, der Weg der Männer wieder nach links führt, zu einer linken Männerpolitik.

Martin Lichtmesz, der Übersetzer von »Der Weg der Männer«, hat diesem Buch ein Nachwort angefügt. Darin weist er unter anderem auf Donovans kritische Distanz zu Robert Blys »Eisenhans« hin und lobt seinen Verzicht »auf jeglichen therapeutischen oder guruhaften Tonfall« (in Donovan 2016b, S. 216) Im Übrigen stellt er das Buch in den Kontext von verschiedenen Netzpublikationen seines Verfassers. Nicht dort, sondern auf dem Blog der Zeitschrift »Sezession«, spricht Lichtmesz den Aufruf aus: »Der Weg der Männer kann heute nur nach ›rechts‹ führen. Kommt zu uns, und helft uns, neue Wege ins Gestrüpp zu schlagen!« Dass ich dieser Einschätzung nicht zustimme, dürfte angesichts meiner obigen Argumentation erwartbar sein. Ich habe mich ausdrücklich dafür ausgesprochen, »rechte« Zeitdiagnosen und Kritiken an der Linken zur Kenntnis zu nehmen und als Impulse zur Überprüfung der eigenen Selbsteinschätzung hinzuzuziehen. Das gilt in meinen Augen auch dann, wenn man diese Diagnostik erst von spezifischen Verzeichnungen befreien muss. Ebenso bin ich aber der Meinung, dass nicht zu erwarten ist, dass aus einer solchen rechten Zeitdiagnostik auch brauchbare und verantwortbare Therapien hervorgehen. Dies hauptsächlich darum, weil das rechte Bild von der menschlichen Natur trügerisch und zur Begründung von Gesellschaftsordnungen nicht brauchbar ist.

Meine Replik auf Martin Lichtmesz’ Aufforderung lautet daher: es gibt keinen »Weg nach Rechts«. Nach Rechts führt kein Weg. Der »Weg nach Rechts« ist ein »Ende der Welt« in einem barocken Schlossgarten, ein an die Wand gemaltes Perspektiv, das die Illusion eines Weges erzeugt. Wer diesen Weg einschlägt, wird das, wofür er politische Verantwortung übernimmt, buchstäblich an die Wand fahren.

Popmusik zum Ausklang: »Stenka na Stenku«, wiederum von »Arkona«

Literatur:

  • Benoist, Alain de (2003), Aufstand der Kulturen. Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert. Berlin: Edition JF
  • Donovan, Jack (2012), The Way Of Men. Milwaukie: Dissonant Hum
  • Donovan, Jack (2014), A Sky Without Eagles. Selected Essays and Speeches. Milwaukie: Dissonant Hum
  • Donovan, Jack (2016a), Becoming a Barbarian. Milwaukie: Dissonant Hum
  • Donovan, Jack (2016b), Der Weg der Männer. Mit Beiträgen von Martin Lichtmesz und »Raskolnikow«. Schnellroda: Antaios
  • Ehrenberg, Alain (2011), Das Unbehagen in der Gesellschaft. Berlin: Suhrkamp
  • Eribon, Didier (2016), Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp
  • Faye, Guillaume (2010), Archeofuturism. European Visions of the Post-Catastrophic Age. London: Arktos
  • Faye, Guillaume (2012), Convergence of Catastrophes. London: Arktos
  • Gehlen, Arnold (1950, 16. Aufl. 2014), Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Wiebelsheim: Aula-Verlag
  • Kleine-Hartlage, Manfred (2013), Die liberale Gesellschaft und ihr Ende. Über den Selbstmord eines Systems. Schnellroda: Antaios
  • Luhmann, Niklas (2009), Soziologische Aufklärung 1. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. 8. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag
  • Mohler, Armin (2010), Gegen die Liberalen. Schnellroda: Antaios
  • Nassehi, Armin (2015), Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss. Hamburg: Murmann
  • Parsons, Talcott (1980), Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien. Herausgegeben von Stefan Jensen. Opladen: Westdeutscher Verlag
  • Searle, John (2012), Wie wir die soziale Welt machen. Die Struktur der menschlichen Zivilisation. Berlin: Suhrkamp
  • Taylor, Jared (2011), White Identity. Racial Consciousness in the 21st Century. o. O.: New Century Books
  • Tönnies, Ferdinand (1887, 1979), Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
  • Weber, Max (1988), Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen: Mohr (Siebeck) (UTB)